13.08.2017
Georg Breitsprecher

Geplante Stadtteilentwicklung Wilhelmsburg

Bahn frei für die Straße: Infrastruktur als Grundlage für Stadtentwicklung

In einem zukunftsweisenden Projekt wird die Bundesstraße B4/75 im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg an die Bahnstrecke verlegt und der Verkehr damit in einer Trasse gebündelt. Die neue Straßenführung macht den Weg frei für neue Wohn- und Büroflächen.

Zwischen verwilderten Grün- und tristen Gewerbeflächen verläuft derzeit quer durch den Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg die Bundesstraße B4/75 als sogenannte „Wilhelmsburger Reichsstraße“. Doch damit wird bald Schluss sein. Denn unweit der Wilhelmsburger Reichsstraße wurden in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche alte Bahnanlagen am Rande der Bahnstrecke schrittweise außer Betrieb genommen und zurückgebaut. Diese Flächen machen nun den Weg frei für ein gleichermaßen ambitioniertes wie planerisch bestechendes Projekt: Im Auftrag der Deutschen Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES) wird die Straße derzeit 500 m nach Osten an die Bahntrasse verlegt und die trennende Barriere damit aufgehoben.

Parallel zur Verlegung der Bundesstraße entwickelt die IBA Hamburg GmbH auf Basis zweier städtebaulicher Wettbewerbe die frei werdenden Flächen: Das Wilhelmsburger Rathausviertel mit einem Projektgebiet von knapp 42 ha und das Elbinselquartier mit einem Projektgebiet von etwa 47 ha sollen Platz für eine vielfältige Mischung aus Wohnen, Gewerbe und Freizeit bieten.

Bis die ersten Bewohner in den neuen Quartieren einziehen können, werden noch einige Jahre vergehen. Mitte 2019 soll die neue B4/B75 voraussichtlich für den Verkehr freigegeben werden. Bis dahin müssen knapp 5 km neue Fahrstrecke, rund 15 km Lärmschutzanlagen, eine Brücke, eine Überführung, ein Trogbauwerk und eine Anschlussstelle gebaut werden.

Voraussetzung für das zukunftsweisende Städtebauprojekt ist die Beherrschung der komplexen Untergrundverhältnisse. So verläuft die neue Straßentrasse in weiten Abschnitten über ehemaliges Bahngelände, das teilweise erheblich mit Schadstoffen verunreinigt ist. Hier müssen Altlasten erkundet und falls erforderlich saniert und das Grundwasser vor negativen Einflüssen aus der Baumaßnahme geschützt werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Untergrund vorwiegend aus weichem Klei und Torf besteht. Um auf diesem Gelände eine vierspurige Straße zu bauen, werden unter anderem überhöhte Dämme aufgeschüttet, die die spätere Verkehrsbelastung simulieren und entsprechende Setzungen vorwegnehmen. Außerdem wird der Baugrund im Rüttelstopfverfahren mit Kies und Sand verdichtet: Kies-Sand-Säulen stützen die weichen Schichten und machen den Boden tragfähiger. Nach etwa sechs Monaten werden die Überschüttungen zurück­ge­baut, und der Straßenbau kann auf dem konsolidierten Baugrund beginnen.

Trotz dieses Aufwands ist die Entwicklung des Stadtteils Wilhelmsburg in vielerlei Hinsicht zukunftsweisend: Die Bündelung von Schiene und Straße in einer gemeinsamen Trasse reduziert Lärmemissionen und verbessert die Lebensqualität. Zugleich entsteht wertvoller städtebaulicher Entwicklungsraum. Ähnlich wie bei Stuttgart 21 oder zahlreichen anderen innerstädtischen Infrastrukturprojekten wird hier also ein Umfeld geschaffen, das attraktive Wohn- und Büroflächen überhaupt erst ermöglicht.

Der Autor
Georg Breitsprecher
Bereichsleiter Infrastruktur & Geotechnik
CDM Smith Consult GmbH