15.07.2016
Gernot Brauer

In München sagen die Bürger, wo‘s lang geht.

So spannend kann Bürgerbeteiligung sein

Mit dem Brexit hatte auf dem europäischen Kontinent kaum jemand gerechnet. Aber der frühere Münchner Oberbürgermeister Christian Ude hat da ganz eigene Erfahrungen: „Der Bürger beschließt, was er will – er kann ja so gemein sein!“

Bild: Gernot Brauer

So titelte er am 30. Juni in der Münchner Abendzeitung zur Premiere eines Buches über die Bürgerbeteiligung am Beispiel von München.

Ude spricht aus sehr persönlicher Erfahrung. Gestützt von seiner Stadtratsmehrheit hatte er in den 1990er Jahren argumentiert, die Ideologie der autogerechten Stadt sei längst Geschichte. Etwa eine Milliarde (damals noch) D-Mark für drei Münchner Autotunnels auszugeben lehne er deshalb ab. Das Geld werde für Schulen, Kindergärten und ähnliches besser verwendet. Seine Kontrahenten in der Bürgerschaft hielten dagegen: Die Kosten verteilt auf 1,5 Millionen Bürger und auf zehn Jahre Bauzeit bedeuteten: „1 Tunnel kostet nur 2 Mark im Monat“. So war auf Plakaten zu lesen. Die Bürger setzten die Tunnels durch. Ude ist heute froh, dass die Bevölkerung ihn überstimmt hat. München hat mit den Tunnels an Lebensqualität entscheidend gewonnen.

Ein Einzelfall? Keineswegs. Sollen in München Hochhäuser die Stadtsilhouette prägen wie in Frankfurt am Main? Nein, sagten die Münchner in einem Bürgerentscheid. Sie setzten durch, dass neue Hochhäuser nur noch so hoch werden dürfen wie die Frauenkirche, Münchens Altstadtsymbol. Der Entscheid band den Stadtrat zwar nur für ein Jahr. Aber er ist klug genug, sich weiter daran zu halten.

Voller Enthusiasmus stürzte sich München gleich zweimal hintereinander auf eine Bewerbung für Olympische Winterspiele. Die Sportanlagen der Sommerspiele von 1972 gibt es ja noch. Die Bayernmetropole wollte die erste Stadt weltweit werden, die sowohl Sommer- wie Winterspiele austragen wollte. Wollte – denn erneut entschieden die Bürger dagegen. Was sie nicht wollten, waren, wie es hieß, Knebelverträge des IOC, des Internationalen Olympischen Komitees. Sie siegten erneut.

 Nur bei einem Münchner Bürgerentscheid wurden Politiker und Bürger sich einig. Der Umbau des wunderbar in die Landschaft des Olympiaparks eingebetteten Olympiastadions zum „Hexenkessel“ einer Fußballarena entfachte in der Bürgerschaft trotz aller Fußballfans einen derartigen Sturm der Entrüstung, dass die Stadt selbst einen Neubau am Stadtrand ins Gespräch brachte. Diese Idee haben die Bürger in einem weiteren Entscheid schließlich gebilligt.

Das sind nur die spektakulärsten jüngeren Effekte der Bürgerbeteiligung in der bayerischen Landeshauptstadt. Begonnen hatten solche Debatten schon 1968, als die Stadt noch ihren autogerechten Umbau plante und die Bürger sich fragten, was das einbringen solle, wenn dafür ganze Straßenzüge beseitigt und das Gesicht der Stadt dabei zerstört werden würden. Der damalige Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, später Justiz- und Bundesbauminister sowie SPD-Vorsitzender, wird bis heute mit den Worten zitiert: „Das passiert mir nie wieder, dass mir die Verwaltung Planungen zur Unterschrift hinlegt, die nicht zuvor mit den Bürgern abgesprochen sind.“ Als Konsequenz entstand das Münchner Forum, das in dieser Stadt bis heute den Dialog von Planern und Bürgern moderiert.

 München ist bundesweit ein Schulbeispiel für das, was im Dialog von Bürgern mit Politikern und Planungs­experten möglich ist und was nicht. Natürlich haben die Münchner keineswegs alles durchsetzen kön­nen, was sie für erforderlich hielten. Gegen ihren erbitterten Widerstand wurde das Europäische Pa­tentamt mitten in der Altstadt direkt neben dem Deutschen Patentamt errichtet, weil diese direkte Nachbarschaft unabweisbar erschien. Die Wohnstruktur an der Stelle des damaligen Neubaus wurde geopfert. Trotzdem arbeiten alle Patentprüfer dieser EU-Behörde längst ganz woanders.

Der Dialog der Regierten mit den Regierenden ist heute eine Selbstverständlichkeit und in Grenzen auch gesetzlich normiert. Trotzdem zeigt er Kanten und Ösen, an denen er sich oft alsbald verhakt. Auch das lässt sich in München stellvertretend für andere Kommunen sehr gut belegen. Dazu muss man mit anderen Kommunen vergleichen – das von Ude anfangs erwähnte Buch tut dies natürlich. Es macht Erfahrungen sichtbar und Konsequenzen einsichtig. Es zeigt, um den Münchner Ex-OB noch ein­mal direkt zu Wort kommen zu lassen, „wie Demokratie in der Kommune besser funktionieren kann, als wenn man sich alle sechs (!) Jahre auf Urnengänge beschränkt.“                       

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Buchtipp:

Die Stadt – das sind wir Bürger

Stadtentwicklung zwischen Politik und Bürgerwille am Beispiel München

336 Seiten, 21x26,5 cm, 337 Fotos, Dokumente, Grafiken und Karten

Verlag Gernot Brauer, München.

Bestellungen am Einfachsten per E-Mail an brauermuc@aol.com

Preis: 29,80 € zzgl. Versand. ISBN 978-3-00-053472-0

 

Der Autor
Gernot Brauer