Der Autor
Timm SassenGründer und CEO, Greyfield Group
Das Thema Bestandssanierung ist weit verbreitet und gilt als Trend in der Baubranche. Die aktuelle Marktlage verstärkt diesen Trend zunehmend. Die positive Verbindung zwischen der Erhaltung von Bestandsgebäuden und ihren ökologischen Vorteilen ist der Branche mittlerweile weitgehend bewusst. Dennoch schweben nach wie vor wirtschaftliche Bedenken über der Bestandssanierung.
Die aktuellen Baupreise sind erheblich gestiegen, was die Branche vor Herausforderungen stellt. Zudem findet ein Neubau selten auf unbebautem Land statt, sondern erfordert oft den Abriss bestehender Strukturen. Dieser Abriss muss jedoch zunehmend ökologisch verträglich erfolgen. Um eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten, wird ein sortenreiner und möglichst schonender Rückbau gefordert, bei dem die angefallenen Materialien bestmöglich wiederverwendet werden. Dies ist für Bauherren, die Nachhaltigkeit ernst nehmen, unerlässlich. Die Kosten für die Entsorgung nicht wiederverwendbarer Materialien auf Deponien werden ebenfalls aufgrund schwindender Kapazitäten weiter steigen, was zu deutlichen Kostensteigerungen vor allem im Rückbau und der Entsorgung führt.
Zusätzlich haben die technischen und ökologischen Anforderungen an Neubauten ein bisher unerreichtes Niveau erreicht. Neben den Erwartungen der Investoren an "grüne Investitionen" und dem hohen Lebensstandard in Deutschland tragen vor allem regulatorische Anforderungen dazu bei, dass die Ansprüche an Neubauprojekte steigen. Trotz aller Bemühungen ist nicht damit zu rechnen, dass die Baustandards sinken werden. Im Gegenteil werden zusätzliche preistreibende Faktoren wie Holzbau, Cradle to Cradle, Einsatz von wiederverwerteten Materialien und dekarbonisierte Bauprodukte die Kosten für Neubauten erhöhen. Die Erfüllung von Nachhaltigkeitsanforderungen wird auch hier für Bauherren unumgänglich sein. Das Ergebnis ist nicht populär und doch unausweislich: Wirklich nachhaltiger Neubau wird teurer. In Zukunft wird ein konventioneller Neubau ohne gesellschaftliche oder soziale Notwendigkeit kaum noch vorstellbar sein.
Auf der anderen Seite erfahren wir ein nie dagewesenes Interesse an dem Thema Bauen im Bestand. Die Hürden für eine wirtschaftliche erfolgreiche Bestandsentwicklung sind zwar auch vorhanden, aber das Wissen im sinnvollen Umgang mit dem Bestand steigt rasant und die Hürden der Bestandssanierung werden darüber hinaus eher sinken. Hier haben wir aber als Branche noch Nachholbedarf in der Lösungsfindung für die technischen und rechtlichen Herausforderungen im Umgang mit dem Bestand. Diese werden mehr und mehr angegangen, sodass wir hier eher eine gegenteilige Entwicklung im Vergleich zum Neubau erwarten: Skaleneffekte nehmen zu, der technische Malus „alt“ wird ökologisch zum Bonus. Auf ausführender Seite werden Lösungen im behutsamen Umgang mit dem Bestand erarbeitet. Das Know How steigt und wird geteilt (u.a. Verband für Bauen im Bestand e.V.). Förderkulissen für eine Bestandssanierung sind bereits vorhanden oder stecken in den Startlöchern. In Summe können wir hier eher von sinkenden oder zumindest von stabilen Kosten im Bestand ausgehen.
Wenn wir nun die Kosten für Neubauten mit denen für Bestandssanierungen vergleichen, ist zu erwarten, dass neben ökologischen auch ökonomische Gründe für den Bestand sprechen werden. Der nachhaltige Neubau könnte bald zur "Spezialdisziplin" für Nutzer werden, die es sich leisten können oder eine soziale/gesellschaftliche Notwendigkeit haben. Die Entwicklung des Bestands wird zum Standard, der sich zunehmend lohnt.