"Ceterum censeo - bin ich im Übrigen der Meinung“, dass wir die immobilienökonomische Relevanz der Flexibilität hier in erster Linie aus einer gesellschaftspolitischen Perspektive betrachten müssen, bevor wir uns auf die Objekte fokussieren. So bedeutet mehr Flexibilität auf der humanen Ebene nämlich immer einen Zugewinn an individueller Wahlfreiheit – und damit auch eine Verbesserung der allgemeinen Chancengleichheit.
Demnach ist Flexibilität ein soziales Projekt, das in vielfältiger Weise auf unser alltägliches Miteinander wirkt, individuelle Perspektiven schafft, Raumstrukturen verbessert und Regionen verbindet. Zu welchen gesamtwirtschaftlichen Verwerfungen eine fehlende Agilität und Adaptionsfähigkeit indes führen können, wird besonders deutlich, wenn man Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt analysiert, die beispielsweise im Zusammenhang mit Jobmobilität und Eintrittsbarrieren stehen. In Bezug auf den letzten Punkt sind dabei natürlich die Wohnungskosten oftmals ein zentraler Grund für strukturelle und soziale Disparitäten. Wenn es an bezahlbarem und adäquatem Wohnraum mangelt und bestimmte Gruppen wie junge Berufseinsteiger oder Migranten daran gehindert werden, in den Markt einzutreten, geht dies zu Lasten der gesamten Gesellschaft. Daher muss es alleine aus ökonomischen und sozialen Gesichtspunkten im ureigenen Interesse eines jeden Staates liegen, ein Maximum an demografischer Mobilität und Flexibilität zu gewährleisten. Gerade in Ländern wie Deutschland, wo man aufgrund der alternden Bevölkerung und geringen Gesamtfertilitätsrate auf Zuwanderung angewiesen ist, gewinnt dieser Aspekt an zusätzlicher Relevanz.
Umso bedauerlicher sind hierzulande die teils eklatanten Zustände auf dem Wohnungsmarkt, die einer effizienteren Arbeitsmigration entgegenstehen. Aus diesem Grund brauchen wir auf sämtlichen Ebenen endlich mehr Mut für Flexibilität! So haben wir in Deutschland vielerorts eine Fehlallokation an Wohnraum, weil Remanenz- und Lock-In-Effekte eine bedarfsgerechte Flächenverteilung konterkarieren. Gleichzeitig verhindern starre Bauordnungen und Nutzungspläne oftmals eine zügige Nachverdichtung und Umnutzung von Nichtwohngebäude in Wohnimmobilien. Hinzu kommen ständig neue Regelungen, Normen und Vorschriften, die das Bauen immer teurer machen, so den Neubau dämpfen und die Mietpreise in die Höhe treiben. Gemäß dem Bauwerkskostenindex der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht lassen sich seit dem Jahr 2000 rund ein Drittel der Baukostensteigerungen auf neue Rechtsvorschriften zurückführen (ARGE, 2019). Nach einer aktuellen Schätzung des ZIA beträgt die Staatsquote mittlerweile rund 37 % bei den Gestehungskosten im Neubau (ZIA, 2023). Statt neuen Normen und noch mehr Gesetzen, die zu einer Beschneidung der marktwirtschaftlichen Flexibilität führen, müssen wir hier wieder auf mehr Eigenverantwortung und eine solidarische Grundhaltung setzen, die sich an dem bewährten Prinzip des Treu und Glauben orientiert. Erst dann werden wir die Angebotslücke auf dem Wohnungsmarkt merklich verringern können und dem Mangel an bezahlbaren Flächen ein Ende setzen.
In einer Gesellschaft, in der die Arbeitswelten und Lebensmodelle immer fluider werden, sind wir daher in der Pflicht, multifunktionale, multidimensionale und multiflexible Lösungen zu finden, die den komplexeren und disruptiveren Strukturen unserer Zeit gerecht werden. Aus sozialen Motiven sowie aus nachhaltigen Gesichtspunkten, wenn es darum geht, den Lebenszyklus unserer Bestandsgebäude zu verlängern. Lasst uns daher eine neue Haltung der Flexibilität etablieren, die weit mehr umfasst als die Debatten um Flex-Offices und -Spaces.
Quellen:
Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrechte e.V., 2019. Gutachten zum Thema Baukosten und Kostenfaktoren im Wohnungsbau in Schleswig-Holstein.
Zentraler Immobilien Ausschuss e.V., 2023. Konzentrierte Aktion Wohnen: Was es jetzt braucht, um den Wohnungsbau endlich wieder anzukurbeln.