Der Autor
Dr.-Ing. Hannes HarterProjektleiter nachhaltiges Bauen, LIST Eco GmbH & Co. KG
Da es sich bei "Quartier" um einen ungeschützten Begriff handelt, erfüllt nicht jedes Projekt, das als solches bezeichnet wird, auch die richtigen Kriterien. Nur wenn es interdisziplinär und ganzheitlich gedacht wird, können wertvolle ökologische, ökonomische wie auch soziale Mehrwerte geschaffen und Synergieeffekte genutzt werden. Gut geplante und funktionierende Quartiere sind also hochkomplexe Entwicklungen, die umfassende Expertise auf unterschiedlichen Ebenen erfordern.
Welche Qualitäten stecken wirklich hinter einer nachhaltigen Quartiersentwicklung – wie kommen wir von der Vision zur Umsetzung?
Digitaler Zwilling für weitreichende Analysen
Ein häufiger Fehler ist die isolierte Betrachtung einzelner Nachhaltigkeitsthemen: Oft werden Gebäude im urbanen Kontext im Einzelnen betrachtet, analysiert und optimiert, aber nicht synergetisch als Bestandteil eines Quartiers bzw. einer Stadt. Vielmehr geht es darum, die Komplexität ganzheitlich zu erfassen und verschiedene Themenfelder und Skalenebenen logisch miteinander zu verknüpfen. Dazu eignet sich vor allem ein sogenannter Top-Down-Ansatz: Von der Stadt über das Quartier bis zum Gebäude.
Erst wenn die Umgebung und der Kontext, in dem das Gebäude steht, verstanden sind, können die notwendigen Konzepte entwickelt und Maßnahmen ergriffen werden. Dabei helfen vor allem digitale Modelle. Die technischen Möglichkeiten, einen sogenannten digitalen Zwilling des geplanten Quartiers zu erstellen, sind am Markt bereits vorhanden. Genau diese Lösungen gilt es zu nutzen. Das 3D-Modell kann mit einer Vielzahl von Informationen angereichert werden: z. B. Daten zur individuellen Gebäudekubatur, zu den verwendeten Materialien, zum Baujahr oder auch zur exakten Dachneigung sind im nächsten Schritt unerlässlich, um die notwendigen Analysen zu starten und beispielsweise um Ökobilanzen, Energieeffizienz und Energiebedarfe im Gesamtkontext betrachten zu können.
Große und meist noch ungenutzte Potenziale ergeben sich unter anderem aus den Dachflächen. Neben der Installation einer Photovoltaikanlage ist auch eine Dachbegrünung zur Erhöhung der Biodiversität denkbar – eine durchdachte Doppelnutzung kann beide Maßnahmen positiv begünstigen. Durch die umfassenden Analysen anhand des digitalen Zwillings kann bspw. das individuelle Solarpotenzial eines Gebäudes oder einer Fläche berechnet werden. Je nach Lage der Fläche und Einfallswinkel der Sonne können so die bestmöglichen Nutzungen innerhalb eines Quartiers ermittelt und Synergien zu einer Dachbegrünung optimal ausgeschöpft werden.
Heute schon für die Zukunft planen
Doch die Möglichkeiten gehen noch viel weiter: Was auf Gebäude- und Quartiersebene möglich ist, lässt sich auch auf die Stadtebene ausweiten. Gerade vor dem Hintergrund des Pariser Klimaabkommens und der EU-Taxonomie mit dem großen Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestands bis spätestens 2045 wird die langfristige Umstellung auf eine nachhaltige Energieerzeugung immer dringlicher. Mithilfe digitaler Analyseverfahren könnten auch für Kommunen individuelle Potenziale berechnet und ganzheitliche Planungen erstellt werden: Ein Gebiet in Tal-Lage könnte beispielsweise weniger von Photovoltaik als von Energiegewinnung aus Biomasse profitieren. Genau darum geht es unter anderem im aktuellen Gesetzesentwurf des Bundes zur kommunalen Wärmeplanung, die als integrativer Teil der kommunalen Energieleitplanung zu verstehen ist.
Es ist ratsam, die Quartiersplanung schon heute so zu gestalten, dass sie in das Gefüge einer großen übergeordneten Wärmeplanung passt – nur so können wir einen entscheidenden Schritt in Richtung Stadt der Zukunft gehen.