Um unsere Innenstädte steht es nicht zum Besten, landauf, landab lässt sich das beobachten. Vernachlässigte Fußgängerzonen, leerstehende Läden, in die Jahre gekommene Kaufhäuser und Passagen, Büros, hinter deren Scheiben sich kaum etwas regt, weil die Belegschaft im Homeoffice arbeitet: In vielen Städten bietet sich dieses traurige Bild.
Die Gründe für den Niedergang sind vielfältig, haben aber nicht nur in der sozialen Isolation während der Coronapandemie ihren Ursprung. Vielmehr entstanden über Jahrzehnte hinweg an den Stadträndern immer neue Retail-Flächen mitsamt ausufernder Parkplatz-Landschaft. Dem Einkaufserlebnis „auf der grünen Wiese“ galt alle Aufmerksamkeit. Gleichzeitig gerieten die Innenstädte mit ihrer oft brutalistischen Architektur aus den 1970er- und 80er-Jahren aus dem Blick, konnte man damit doch potenziell einkaufslustige Kunden, Gäste und Besucher längst nicht mehr locken. Zuletzt kamen Inflation und steigende Mieten hinzu – ein fataler Mix, der aktuell vor allem Gastronomie und Einzelhandel schwer trifft.
Die gute Nachricht lautet: So vielfältig wie die skizzierten Herausforderungen sind inzwischen auch die Versuche, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Dabei geht es um eine Transformation, die im Wesentlichen auf innovative und abwechslungsreiche Nutzungskonzepte setzt. Und diese brechen bewusst mit der jahrzehntelangen Shopping-Monokultur in der Peripherie.
Innenstädte müssen Identifikations- und Identitätsangebote machen
Laut einer gängigen immobilienwirtschaftlichen Definition ist eine Innenstadtlage dann gegeben, wenn in einem urbanen Zentrum mindestens drei Assetklassen zusammenkommen. Die Schwerpunkte liegen dabei neben Retail-Flächen auf Wohnen, Arbeiten und vor allem auf dem öffentlichen Raum. Klar ist auch, dass es sich ganz überwiegend um Bestandsimmobilien handelt. Was aber zeichnet zukunftsfähige Innenstädte aus?
Wichtig ist, dass es nicht allein diese Definition ist, die handlungsleitend für die anstehende Transformation ist. Urbane Zentren müssen vor allem als emotionale Orte verstanden werden, die ideelle Werte transportieren und die von den dort lebenden und arbeitenden Menschen als identitätsstiftend und mit der (eigenen, persönlichen) Geschichte positiv verbunden werden.
Das ermöglichen beispielsweise öffentliche Freiflächen und Aufenthaltsräume wie Marktplätze oder Grünanlagen. Sie müssen jedoch für alle Generationen funktionieren und eine möglichst hohe Aufenthaltsqualität sowie kurze Wege bieten. Richtschnur ist hier die Barrierefreiheit – und sie gilt gleichfalls für nachhaltige Mobilitätsangebote, die ebenso wenig fehlen dürfen. Dazu zählen physische Mobility Hubs, aber auch virtuell-digitale Dienstleistungen (etwa über lokale Beacons). Ergänzt werden diese durch ein abwechslungsreiches Retail-Angebot aus Traditionsgeschäften und wechselnden Läden, sogenannten Pop-up-Stores. Die Beispiele zeigen, dass die früher eng abgegrenzten Nutzungen künftig zunehmend verschwimmen, etwa zwischen Handel und Wohnen oder zwischen Nutzungen in den Erd- und Obergeschossen. Das bedeutet, dass Flächen künftig verstärkt flexibel und mehrfach belegt werden – wie es beispielsweise bei Wochenmärkten schon lange Praxis ist.
Integrales Quartiersmanagement: eine Lösung auch für Finanzierungslücken?
Ein solch umfangreiches Bündel an Lösungen können nur alle Akteure gemeinsam schnüren. Gefragt ist ein integrales Quartiersmanagement, das nicht nur die kommunale Verwaltung, sondern darüber hinaus Investoren, Verbände, Bürger und weitere Stakeholder an einen Tisch bringt. Dabei gilt es ganz zentral, die Herausforderung entstehender Finanzierungslücken im Zuge bevorstehender Entwicklungsprojekte gemeinsam zu schließen.
In diesem Prozess der ‚Rückeroberung unserer Innenstädte‘ entstehen oft spannende und aussichtsreiche Ideen. Beispielsweise sind das neue Geschäftsmodelle – etwa im Rahmen einer digitalen Community als Plattformen mit zusätzlichen Services, von denen alle Akteure in der Innenstadt profitieren. Oder in Form eines digitalen Marktplatzes für Start-ups.
Notwendig sind aber auch Änderungen im Planungs- und Baurecht, um eine flexiblere Umnutzung von Flächen zu ermöglichen. Wichtig wäre dafür eine Art „B-Plan 2.0“, der auch Fragen der digitalen Infrastruktur umfasst. Ein weiteres Feld ist das Einbeziehen des demografischen Wandels, etwa durch mehr Sicherheit für ältere Menschen mittels einer gezielten Mensch-Technik-Interaktion oder nutzerspezifischen Services wie abgesenkte Bordsteine für Senior:innen mit Rollatoren.
Jede Menge Chancen für Innenstädte: Mixed-use-Gebäude und -Quartiere
Einen Ansatz für eine ‚belebende‘ multifunktionale Nutzung unserer Innenstädte beschreibt das unten visualisierte Modell einer „New Urban Possibility“ (siehe Abbildung). Momentan ist der Transformationsprozess zwar schon mancherorts angelaufen oder zumindest in der Planungsphase. Dennoch sind viele Ansätze nach wie vor viel zu statisch. Das in der Grafik gezeigte Beispiel einer Schule in ihrer bisherigen/gegenwärtigen Nutzung (linke Seite) würde dagegen künftig aufgebrochen in eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzungen der Immobilie bzw. des Innenstadt-Areals (rechte Seite).
Diese umfassen neben einer schulischen Nutzung sämtliche Segmente: vom Wohnen in den oberen bzw. Dachgeschossen über eine Verwendung als Bürostandort oder Ärztehaus bis zu Logisitik-Nutzungen in den verkehrlich günstig zu erschließenden Flächen im Erd- und Untergeschoss. Selbstredend ergänzen das Angebot Gastronomie, Sport- und Gesundheitsangebote sowie Betriebskantinen und eine Schulmensa. Dies alles garantiert ein belebtes Areal über einen Großteil des Tages hinweg.
Überträgt man dieses Beispiel der Schule zum Beispiel auf ein Einzelhandelsgebäude, so ergibt sich ein durchaus denkbarer Ansatz für die Innenstadt. Eine solch umfassende Nutzungsmischung würde – ergänzt um regenerative Energien und nachhaltige Mobilitätsangebote – die jeweiligen Gebäude auch im Hinblick auf die ESG-Regularien optimal positionieren. Für eine lebendige und abwechslungsreiche Innenstand wäre sie in jedem Fall ein deutlicher Gewinn.