Interview mit Anett Gregorius, Gründerin und Inhaberin von Apartmentservice und seit vielen Jahren Co-Moderatorin des Jahreskongresses Temporäres Wohnen

„Wir haben unsere Resilienz ausgebaut“

Yvonne Traxel sprach mit ihr über bessere Serviced-Apartment-Performances als vor der Krise und stattliche Pipelines trotz Development-Stillstand.

Anett Gregorius 17. Mai 2023
Temporäres Wohnen
Quelle: shutterstock

Heuer Dialog: Anett, wir moderieren den Jahreskongress Temporäres Wohnen seit 2018 gemeinsam. Welche Reise hat das Segment für Dich in dieser Zeit genommen?
Anett Gregorius: Eine spannende, intensive, mit großem Bedeutungszuwachs. Als wir anfingen, standen im Vordergrund noch viele Begriffsdefinitionen und Abgrenzungen, um verstanden zu werden. Dies sowohl gegenüber anderen Assetklassen, als auch im Dialog mit Stadtentscheidern und nicht zuletzt innerhalb der einzelnen Ausprägungen von Temporärem Wohnen. Inzwischen sind unsere Serviced-Apartment-Betriebe und Mikrowohnobjekte in ihren Varianten vielfach präsenter geworden. Der Dialog mit den Städten fruchtet, aber muss dringend fortgeführt und intensiviert werden, gerade vor dem Hintergrund der aktuell so angespannten Wohnungsmärkte. Und wir müssen weiter an den Begrifflichkeiten arbeiten, auch weil sich die Konzepte wandeln.
Was ich wiederum am Jahreskongress besonders gern beobachte, ist, wie interessiert und auf Augenhöhe sich hier seit etwa zwei Jahren wohnwirtschaftliche und gewerbliche Akteure begegnen und den Austausch suchen. Das war, um ehrlich zu sein, nicht immer so. Ich kann mich noch gut erinnern, wie in den ersten Jahren traditionelle wohnwirtschaftliche Player einzelne Serviced-Apartment-Betreiber und ihre Pläne belächelten.

 Heuer Dialog: Warum, glaubst Du, hat sich das ein Stück weit geändert?
Anett Gregorius: Weil das Verständnis füreinander gewachsen ist. Weil Belächelte inzwischen vielfach erfolgreich im Markt aktiv sind. Weil die Multikrisen der letzten drei Jahre doch alle getroffen haben und deshalb vieles zwischen den Assetklassen relativ geworden ist. Und weil Betreiberthemen und Betreiberimmobilien auf ein wachsendes Interesse im Hinblick auf Renditeerwartungen und Zukunftsmodelle stoßen. Beim Thema Senior Living zum Beispiel zeigt sich gerade in besonderer Weise, wie moderne Hospitality-Modelle ein Stück weit traditionelle Pflegeimmobilien-Gewissheiten umstürzen können. Constantin Rehberg von Lively und Anja Bachmann von The Embassies werden auf dem Jahreskongress hier sicher viel dazu sagen können.

Heuer Dialog: Welche Lessons Learned gibt es bei Serviced Apartments aus den letzten drei Jahren?
Anett Gregorius: Als Teil des Beherbergungsgewerbes war die Corona-Pandemie für alle Akteure im Serviced-Apartment-Segment die schwierigste Zeit seit 20 Jahren. Von heute auf morgen wurde das Reisen eingestellt, und die Gäste blieben aus. Aber zügig zeichnete sich ab, dass die Serviced-Apartment-Betriebe durch den Hauptfokus auf Geschäftsreisende weiter Gäste empfangen und, im Gegensatz zur klassischen Hotellerie, die Häuser lohnend offenhalten konnten. Zugleich war das Konzept der Abgeschlossenheit, der Selbstversorgungsmöglichkeiten, Wohnlichkeit und wenigen Begegnungen durch den hohen Digitalisierungsgrad gefragt. Und schließlich profitierte das Segment von seinem effizienten Betriebskonzept mit weniger Mitarbeitern sowie weniger zu bespielenden Flächen und Betriebsbereichen als in Hotels – und trotzdem haben die Akteure in dieser Zeit noch einmal ihre Betriebsprozesse überprüft und verbessert.
In Folge fiel im Segment die durchschnittliche Jahresauslastung seit 2020 nicht tiefer als 54 Prozent (klassische Hotels 2020 u. 2021: 31 Prozent), und das Segment hat sich inzwischen nahezu vollständig erholt. Diese erlebte Resilienz verschafft dem Sektor einen unfassbaren Rückenwind im Markt und lässt es auch durch die aktuellen Krisen gut segeln. Deine Frage nach Lessons Learned kann ich daher eher mit einer stärkenden Resilienz beantworten, die die Akteure erlebt haben und die das Segment insgesamt auch bei Investoren nach vorn hievt. Wir haben in jeder Hinsicht unsere Resilienz ausgebaut.

Heuer Dialog: Das zeigen auch die Ergebnisse der jährlichen Betreiberumfrage von Apartmentservice, die gerade veröffentlicht wurden. Was sind die wichtigsten und überraschendsten Resultate?
Anett Gregorius: Das Serviced-Apartment-Segment hat im letzten Jahr komplett aufholen können und mit 80 Prozent eine höhere durchschnittliche Jahresauslastung erreicht als 2019. Jeder Zweite im Segment mindestens 80 Prozent Auslastung generiert – das ist enorm. Auch die anderen Kennzahlen haben deutlich zulegen können, auch weil die Betreiber im Segment selbstbewusst ihre Raten erhöht haben, sogar im Longstay-Segment. Die Stimmung ist entsprechend außerordentlich: In unserer Betreiberumfrage Anfang 2023 gaben starke 96 Prozent an, „positiv“ (46 Prozent) oder sogar „sehr positiv“ (50 Prozent) auf die Entwicklung des Gesamtmarkts Deutschland zu blicken. 90 Prozent der Befragten schätzten die aktuelle wirtschaftliche Situation als „gut“ (50 Prozent) oder „sehr gut“ (44 Prozent) ein.

Heuer Dialog: Was sind die drängendsten Themen bei Serviced Apartments derzeit?
Anett Gregorius: So herausragend die Performances in den Betrieben sind, trotzdem ist das Segment natürlich belastet von Indexierungsthemen, hohen Baukosten und genereller Development-Lähmung. Ich gehe aber von ersten Entspannungstendenzen in der zweiten Jahreshälfte aus. Das Interesse gerade von institutionellen Investoren ist wachsend, das Vertrauen in das Segment stark. Konzeptionell zeigt sich der Trend zu vermehrten Shortstay-Angeboten, auch bei Longstay fokussierten Serviced Apartmenthäusern. Zudem zeigen manche Betreiber das Interesse, mit hybriden Konzepten aus Serviced Apartments, Coworking, Coliving, Gastronomie und zum Teil auch Veranstaltungsflächen zu wachsen. Dies ist nicht zuletzt immer wieder für korrekte Begrifflichkeiten und Abgrenzungen herausfordernd, hier sind wir im Rahmen einer neuen Task Force im Austausch mit der Branche und versuchen als langfristiges Ziel weiter, dass der Begriff Serviced Apartments Eingang in die Baunutzungsverordnung findet.

Heuer Dialog: Was ist in Zukunft in Sachen Nachhaltigkeit zu erwarten? Wie stark zahlt die Digitalisierung in der Branche aktuell auf ESG ein?
Anett Gregorius: Alles dreht sich mittlerweile auch im Segment um das Thema ESG. Die Firmen, die ihre Mitarbeiter in unsere Häuser einbuchen, machen enormen Druck im Hinblick auf einen komplett klimafreundlichen Geschäftsreiseprozess. Die Serviced-Apartment-Betreiber müssen hier künftig CO2-Fußabdrücke etc. messen und dokumentieren, um gebucht zu werden, und sind entsprechend dabei, alle Betriebsprozesse im Hinblick auf Einsparungen zu prüfen. Zugleich wächst der Druck auf die Immobilien selbst, von Beginn an klimafreundlich zu sein. Die gesamte Projektentwicklungskette ist hier mittlerweile aktiv und sucht das Commitment. Akteure wie Koncept Hotels, die 2022 unseren SO!APART Award in der Kategorie Nachhaltigkeit gewonnen haben, zeigen, wie dies umgesetzt werden kann. Auf dem Jahreskongress Temporäres Wohnen wird der Gründer Martin Stockburger darüber berichten.

Heuer Dialog: Wieviel Neubau ist in den nächsten 1-2 Jahren zu erwarten, wenn die Zinsen so hoch sind?
Anett Gregorius: Die Pipeline im Segment liegt nicht mehr jenseits der 50 oder 60 Prozent, wie noch vor der Krise, aber sie ist immer noch stattlich. Aktuell zählen wir mehr als 44.400 Serviced-Apartment-Einheiten in 807 Häusern. Bis Ende 2025 expandieren die Akteure im Segment in Deutschland um 36 Prozent und damit um rund 16.000 weitere Einheiten. Zu den Treibern gehören hier die digitalen Anbieter wie Numa und Limehome, aber auch der Microliving-Spezialist i Live mit seinem ersten gewerblichen Brand Rioca oder auch Nena Hospitality, unter anderem mit der neuen Marke Friday Apartments.  

Heuer Dialog: Serviced Apartments oder wohnwirtschaftliche Mikrowohnobjekte – wer hat im Moment die besseren Marktchancen?
Anett Gregorius: Eine schwierige Frage, die ich nicht als Entweder-Oder formulieren würde. Beides hat weiter seine Berechtigung. Aber wohnwirtschaftliche Mikrowohnobjekte, die sich an andere Zielgruppen als Studierende richten, müssen sich im Moment auch wieder vor den Kommunen mehr erklären als gewerbliche Konzepte, dies vor allem im Hinblick auf angespannte Wohnungsmärkte wie aktuell in Berlin. Zugleich ist die Nachfrage hier für beide Welten derzeit enorm. Jede zweite Berliner Wohnung bei ImmoScout24 war zuletzt möbliert – das ist auch erschreckend. Ich freue mich, dass wir auf dem Jahreskongress über dieses Spannungsfeld und notwendige Differenzierungen mit den verschiedensten Akteuren in der Tiefe sprechen können.

Heuer Dialog: Vielen Dank für das Gespräch, liebe Anett!

 

 

 

Die Autorin
Anett Gregorius
Gründerin und Inhaberin, Apartmentservice

Das Event zum Thema

Mittwoch, 14. Juni - Donnerstag, 15. Juni 2023
6. Jahreskongress Temporäres Wohnen
Berlin