Der Autor
Sebastian TheißenGeschäftsführender Gesellschafter, LIST Eco GmbH & Co. KG
So zum Beispiel eine ganzheitlich fundierte Variantenbetrachtung, in der die Themen CO2 und Zirkularität gleichbedeutend und in ihren Wechselwirkungen berücksichtigt sind.
Warum das so wichtig ist, lässt sich am besten an einem Beispiel erklären – und dieses muss nicht aus der Baukonstruktion stammen, sondern kann ebenso Bestandteil der Technischen Gebäudeausrüstung (TGA) sein. Wenn also beispielsweise Rohrleitungen einer Fußbodenheizung rein auf der Grundlage der embodied carbon ausgewählt werden, dann wiesen Kunststoffrohre nur knapp die Hälfte an CO2-Auswirkungen wie die von Kupferrohren auf. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Kunststoffrohre am Ende ihrer Nutzungsdauer einem stofflichen (Up-)cycling Prozess zugeführt werden. Hier findet oft nur eine thermische Verwertung statt. Kupfer hingegen wird sehr wahrscheinlich wiederaufbereitet und stofflich recycelt. Zudem werden die Verbundrohre aus PEX hohe Entsorgungskosten am Ende des Lebenszyklus verursachen, während Kupfer einen steigende Rohstoffrestwert in Zukunft verspricht. Eine zusammenhängende Bewertung von Umweltwirkungen sowie Zirkularität ist daher bei der Auswahl von Materialien und Produkten der Baukonstruktion und der TGA von großer Bedeutung, um die ökologischen Effekte vollumfänglich zu erfassen und zu verstehen.
Lange Zeit war für genau diese zusammenhängende Bewertung Handarbeit gefragt. Weder Ökobilanz noch Zirkularitätsbewertung konnten automatisiert durchgeführt werden. In den letzten Jahren hat sich auf dem Markt der open BIM-basierten Lösungen aber einiges getan. Für uns und unsere Kunden heißt das: Haben wir die Datenqualität unserer Gebäudemodelle einmal entsprechend optimiert, ist der das BIM-Modell sowohl für die Ökobilanz als auch für die Zirkularitätsbewertung „ready“. Werfen wir deshalb kurz einen kurzen Blick auf die beiden Methoden.
Ökobilanzierung.
Dass ein energieeffizienter Gebäudebetrieb sinnvoll und ein erstrebenswertes Ziel für die Gebäudesanierung ist, brauche ich nicht mehr erklären. Was für viele Marktteilnehmer aber noch nicht klar ist: Je mehr Immobilien sich über einen energieeffizienten Gebäudebetrieb dem Passivhaus-Standard annähern und je grüner unser Strom-Mix wird, desto weniger Bedeutung hat die Betriebsphase noch in der CO2-Bilanz. Deshalb nutzen wir die Ökobilanz (englisch: Life Cycle Assessment, LCA). Sie ist ein Verfahren, mit dem umweltrelevante Belastungen in sämtlichen Vor- und Endprozessen neben der Betriebsphase erfasst und bewertet werden können.
Die Erkenntnisse einer entsprechenden Bilanzierung nehmen dabei großen Einfluss auf die Planung. So konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass die TGA – trotz eines geringfügigen Anteils von ca. 1 Prozent an der Stoffmasse eines Gebäudes – sehr hohe Umweltwirkungen verursachen kann. Bei den Treibhausgasemissionen machen die CO2-Emissionen der TGA für ein deutsches Bürogebäude (Neubau) i.d.R. mehr als 20 Prozent der Gesamtemissionen aus. Und je nach Gebäudenutzungsart und Energiestandard können diese in besonderen Fällen sogar auf bis zu 35 Prozent ansteigen. Deshalb ist es sinnvoll, die grauen Emissionen und Materialien der TGA stärker in den Fokus zu nehmen.
Zirkularitätsbewertung.
Es existieren verschiedene Methoden, die auf Gebäude-, Bauteil-, Bauprodukt- und Materialebene sowie Rohstoffebene die Zirkularität bewerten. Generell sind Bauprodukte zirkulär, wenn sie einerseits bei der Materialherstellung bereits recycelte, wiederverwendete und/oder erneuerbare Anteile aufweisen. Anderseits definieren sich zirkuläre Baustoffe und Bauprodukte ebenfalls durch eine langlebige Nutzungsdauer sowie einer direkten Wiederverwendung oder einem hochwertigen Recycling (Upcycling).
Dabei sind die Zugänglichkeit und der Austausch von Informationen zu Materialien ein wichtiger Faktor, um die Prinzipien einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen anzuwenden. Ein Konzept, das dies ermöglicht, ist der digitale Gebäudepass, z. B. der Gebäuderessourcenpass (GRP) gemäß DGNB. Er bietet die Möglichkeit, qualitative und quantitative Bewertungen bzw. Optimierung zur Zirkularität und zu Schadstoffen sowie eine Inventarisierung der materiellen Zusammensetzung und ökobilanzielle Bewertungen zu vereinen. Zusätzlich können anhand von GRPs auch die finanziellen Rohstoffrestwerte abgeschätzt und ausgewiesen werden. Einer der ersten und bisher bekanntesten Gebäudepass-Konzepte stammt von Madaster. Als Bewertungsmethode stellt Madaster mit dem Madaster Zirkularitätsindikator (MZI), der auf dem von der Ellen MacArthur Foundation entwickelten Material Circularity Indicator basiert, eine validierte wissenschaftliche Methode bereit. Zudem profitieren wir und unsere Kunden bei der Anwendung dieser Methode davon, dass auch die Rückbauqualität mit dem sogenannten detachability index & quality score bewertet werden kann. So können wir die Demontage und Rückbaubarkeit von Konstruktionen in Kombination mit der TGA erstmals in einem BIM-Koordinationsmodell bewerten.