Interview mit Christian Blanke, Business Development Manager & Research, Madaster Germany GmbH

Zirkularität und Urban Mining: Fokus Handelsimmobilie

Wie Nachhaltigkeit durch gezielte Wiederverwertung von Gebäudeteilen erreicht u. der Rückbauprozess kostentechnisch vom Minus ins Plus verwandelt werden kann, lesen Sie im folgenden Interview zum Thema der praktischen Zirkularität für Handelsimmobilien.

Karin Hanten Christian Blanke 10. März 2023
Zirkularität und Urban Mining: Fokus Handelsimmobilie
Quelle: Shutterstock

Heuer Dialog: Es geht immer mehr um die Erhaltung, Sanierung und Modernisierung des Bestandes – natürlich vor allem auch vor dem Hintergrund der ESG-Anforderungen. Was ist das Besondere einer Handelsimmobilie im Bezug auf Zirkularität?

Christian Blanke: Eine Handelsimmobilie unterliegt dem Anspruch, sich regelmäßig an wechselnde Kundenwünsche auszurichten. Dabei wird vor allem die Innenausstattung von Geschäften häufiger verändert, um für Kunden ein neues, attraktives Einkaufserlebnis zu schaffen. Durch den hohen Kundenverkehr ergibt sich zudem eine starke Nutzungsintensität der inneren Gebäudeschichten und dadurch die Notwendigkeit im Innenausbau und im Mobiliar häufiger zu erneuern.

Durch den erhöhten/überdurchschnittlichen Materialumsatz in der Lebensphase des Gebäudes, fällt bei Handelsimmobilien mehr Abbruchmaterial an als bei anderen Gebäudearten. Gerade deshalb ist es sinnvoll, auch vor dem Hintergrund einer ESG-Bewertung, genau zu wissen, woraus das eigene Gebäude aktuell besteht.

 

HD: Für welche Art von Handelsimmobilien ist der Ansatz von Bauprodukten in der Kreislaufwirtschaft besonders geeignet – eher für Einzelobjekte oder Shoppingcenter? Kommt es auf die Größe an?

CB: Es lohnt sich für jedes Gebäude zu wissen welche Ressourcen in ihm stecken und was ihr Wert ist. Je größer das Gebäude, desto effizienter läuft die Mengenbündelung und desto effizienter ist ein Abtransport. Jedoch können kleine Gebäude auf unserer Plattform an einer Mengenbündelung über das angestrebte Materialkataster profitieren, sodass ihre Größe nicht zum Nachteil wird. Wir bauen derzeit das Thema „Track & Trace“ auf, um Bauherren einen geeigneten Kanal für ihre Abbruchmaterialien zu liefern und Herstellern und Handel die Gelegenheit zu geben neue Beschaffungswege für ihre Prozessmaterialien und Produkte zu erhalten.

 

HD: Wenn die Handelsimmobilie kein Neubau ist und es dazu noch keine digitale Materialliste gibt: wie aufwändig ist es, alle Bauteile und deren Wiederverwertbarkeit nachträglich zu erfassen?

CB: Die EPEA hat den Urban Mining Screener entwickelt, den wir bei madaster für die Abschätzung einer Materialliste eines Bestandsgebäudes verwenden. Der Bauherr kann einige Informationen zu seinem Gebäude angeben,  daraufhin findet eine Zuordnung zu einem Gebäudetyp statt und aufgrund dessen durchschnittlichen Materialinhalt wird eine digitale Materialliste hochgeschätzt. Diese Liste ist die Grundlage, die der Bauherr anschließend ergänzen kann, sollte er tiefergehende Informationen haben. Mit dem Thema der nachträglichen Gebäudebestandserfassung hinsichtlich der Materialität beschäftigen sich derzeit einige Forschungsprojekte, die wir auch auf EU-Ebene begleiten.

 

HD: Wie stark wird das schon abgerufen? Welche Akteure haben Vorteile davon? Wer muss ins Handeln kommen?

CB: Architekten und Planer nutzen die Plattform bereits aktiv, um in ihrer Planung eine Entscheidungsgrundlage über den Einfluss verschiedener Produkte und deren Substitutionsgüter auf ein Gebäude zu haben. Dem Eigentümer können sie dann direkt einen aktiven Materialpass über Materialien, Umwelteinflüsse und die finanziellen Restwerte ihres Gebäudes übergeben. Gebäudeeigentümer nehmen den Materialpass in Anspruch, um für sich eine Transparenz über ihr Gebäude und dessen Restwert zu erhalten. Darüber hinaus können Sie ihr(e) Gebäude über die Plattform während der Nutzungsphase stets aktuell halten. Wird das Gebäude oder Schichten daraus abgebaut, ergeben sich Materialmengen, die für den Gebäudeeigentümer oft in Entsorgungskosten mündeten. Durch das von uns aufgebaute Materialkataster, können wir aufkommende Materialmengen überblicken, bündeln und Bauherren mit z.B. interessierten Produzenten vernetzen. Damit bieten wir auch die Plattform, die für den Bauherren aus Entsorgungskosten einen Rohstoff-Restwert macht. Und für Hersteller bieten wir die Plattform, die den Weg für die Erschließung von Sekundärrohstoffen ebnet. Das schaffen wir nur, durch die Vernetzung der gesamten Wertschöpfungsstufen in der Baubranche. Wir haben schon sehr viele engagierte Partner, die unser Engagement teilen. Damit es mehr werden, müssen alle gleichermaßen loslegen, und sich nicht gegenseitig den Vortritt lassen.

 

HD: Wer kann wieviel Geld sparen?

CB: Neben den Vorteilen der Materialtransparenz für eine ESG-Bewertung kann der Bauherr auch den finanziellen Ressourcenrestwert des Gebäudes abschätzen und in der Planung die nun sichtbaren Erträge den anfallenden Entsorgungskosten gegenüberstellen. Die erschaffene Transparenz kann den Rückbauprozess kostentechnisch oft entlasten, oder sogar in eine Ertragsposition umwandeln. Es kommt darauf an, wie viele Baustoffe nach ihrem Nutzungsende und der Demontage für uns noch einen Wert darstellen.Noch nicht alle Baustoffe haben einen positiven finanziellen Restwert. Das liegt daran, dass es noch nicht für alle Bauprodukte einen Plan gibt, wie sie nach der Nutzungsphase eines Gebäudes verwendet werden sollen. Hier spielt das Thema Recyclingfähigkeit und Demontierbarkeit im Produktdesign und der Gebäudeplanung eine große Rolle.

Für sortenreine Abbruchmaterialien haben viele Hersteller großes Interesse und sind gerne bereit dafür zu zahlen. Um den Ressourcenrestwert von Gebäuden weiter zu steigern, beteiligen sich Hersteller, Abrissunternehmen und Architekten an regen Diskussionen mit uns und treiben das Thema voran.

 

HD: Herr Blanke, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Karin Hanten.

Die Autoren
Karin Hanten
Projektleiterin, Heuer Dialog GmbH
Christian Blanke
Business Development Manager & Research, Madaster Germany GmbH

Das Event zum Thema

Dienstag, 28. März - Mittwoch, 29. März 2023
15. Deutscher Handelsimmobilien-Gipfel
Stuttgart