Sämtliche Akteure sind jetzt gefragt

Interview mit Dr. Jörg Schlenger, Manager Energy & Sustainability, Drees & Sommer SE

Dr. Jörg Schlenger, Experte für nachhaltige Wohnimmobilien-Portfolios bei Drees & Sommer, spricht im Vorfeld des Wohn-Dialogs Frankfurt angesichts steigender Herausforderungen über Strategien, Ziele und Erwartungen der Branche.

Jörg Schlenger 1. Februar 2023

Heuer Dialog: Drees & Sommer legt einen Schwerpunkt auf die strategische Entwicklung von Wohnportfolios, die Klimaneutralität ins Zentrum rücken. Eine entsprechende Klima-Roadmap für dieses Segment stellen Sie beim Wohn-Dialog Frankfurt vor. Können Sie uns einen Vorgeschmack geben und etwas zur Entstehung dieser Roadmap erzählen?

Dr. Jörg Schlenger: Im Gebäudesektor entfallen 35 Prozent der CO2-Emissionen auf Wohngebäude. Davon sind Bauten, die vor 1979 errichtet wurden, für zwei Drittel der Emissionen verantwortlich. Das bedeutet, dass die Sanierung von Bestandsgebäuden das größte Potenzial bietet, um die Klimaziele im Gebäudesektor noch zu erreichen.

Die dafür notwendigen Maßnahmen wirtschaftlich umzusetzen, ist aber nur in Verbindung mit zielgerichteten Ersatzinvestitionen möglich, etwa der Austausch von Fenstern oder Änderungen des Heizsystems. Dafür braucht es einen detaillierten Entwicklungspfad hin zu einem umweltfreundlichen Bestand. Ein wesentlicher Schritt dazu bildet eine umfassende Datenerhebung zum Gebäudebestand. Sie fungiert als Fundament für Sanierungsstrategien.

Die Clusterung von Portfolios beispielsweise nach relativen und absoluten Treibhausgasemissionen oder Baualtersklassen führt dann zu einem wirkungsoptimierten Maßnahmenmix. Dazu zählen etwa organisatorische, wirtschaftliche oder technische Maßnahmen. Im Kern gilt: Die Klima-Roadmap stellt für uns die Basis dar für die Ziele, die wir erreichen wollen, sowie für das Erfolgsmonitoring und für eine eventuelle Nachjustierung über die folgenden Jahre.

HD: Environmental Social Governance (ESG) zwingt die Immobilienwirtschaft zum Umdenken. Was muss aus Ihrer Sicht konkret am Wohnungsmarkt passieren, um noch eine enkeltaugliche Zukunft zu garantieren?

Dr. Jörg Schlenger: Sämtliche Akteure sind jetzt gefragt – das ergibt sich aus der Dringlichkeit, der Komplexität und der Größe der Herausforderungen. Vom Energieversorger über kommunale Quartierslösungen und die Gebäudeeigentümer bis zu den Mietern tragen alle Verantwortung.

Zum Beispiel müssen wir jetzt die kommunalen Versorgungsnetze ausbauen und parallel dekarbonisieren. Dringend geboten ist zudem, dass wir die Gebäude-Sanierungsquoten im Wohnungsmarkt erhöhen und dabei erneuerbare Energien einsetzen, wo immer es geht.

Für falsch halte ich es jedoch, „lediglich in Anlagentechnik“ zu denken. Denn häufig ist vor allem die Verbesserung der Gebäudehülle, also die Dämmung, der Schlüssel zu langfristig erfolgreichen Optimierungen und ambitionierteren Klimazielen. Wenn wir gleichzeitig weitere Anreize für die Mieter schaffen, die Energieverbräuche zu reduzieren, ist schon einiges gewonnen.

HD: Wie können wir sicherstellen, dass bei der notwendigen Transformation die Mieten bezahlbar bleiben und hier kein sozialer Sprengstoff entsteht – wie also das S in ESG bedienen?

Dr. Jörg Schlenger: Einen wesentlichen Bestandteil stellen gezielte Förderprogramme dar, damit die energetische Modernisierung sozialverträglich gestaltet werden kann. Beispielsweise führen Investitionskostenzuschüsse dazu, dass die umlagefähigen energiebedingten Sanierungsmehrkosten geringer ausfallen. Dadurch verringert sich die Belastung für Mieter, während sich zugleich die Wirtschaftlichkeit für Vermieter verbessert.

HD: Was wünschen Sie sich außerdem von der Politik? Was muss getan werden, um nicht nur über zukunftsfähige Gebäude zu sprechen, sondern diese auch zu gestalten?

Dr. Jörg Schlenger: Über die gestiegenen Energiepreise hat die Bedeutung der Verbräuche und damit der CO2-Emissionen schon erheblich zugenommen. Abhängig von der zukünftigen CO2-Preisentwicklung wird sich dieser Trend tendenziell weiter verstärken und damit die Gebäudewende weiter vorantreiben – je höher der CO2-Preis, desto stärker wird dieser Antrieb. Dringend nötig ist daher eine noch stärker auf CO2-Reduktion ausgerichtete Förderung und Besteuerung von Wohnfläche. Außerdem müssen, wie bereits erwähnt, die direkten Anreize für Vermieter und Mieter erhöht werden, die CO2-Emissionen weiter zu reduzieren, zum Beispiel indem ein Teil der Energiekosten und damit auch der Einsparungen in der Verantwortung des Vermieters liegen, der auch die Sanierungsentscheidungen trifft. Die Belastung der Vermieter und ein Abwälzen auf die Mieten muss durch entsprechende Förderprogramme vermieden werden.

Klar ist: Sozialverträgliche Lösungen brauchen bezahlbaren Wohnraum. Die Preise für Wohnraum sinken letztlich aber nur, wenn das Angebot am Markt langfristig wächst. Daher müssen zusätzlich Rahmenbedingungen und Anreize geschaffen werden, die zu einer eine Erhöhung der Neubauquoten führen , um den Druck vom Wohnungsmarkt zu nehmen. In Verbindung mit den sich aktuell verändernden Baupreisen und Finanzierungsbedingungen muss auch die Förderung sozialen Wohnungsbaus wieder in den Vordergrund gerückt werden – natürlich klimafreundlich und im Einklang mit den langfristigen Zielen der Klimaroadmap der Eigentümer.

Das Interview führte Jana Mielke, Projektleiterin, Heuer Dialog GmbH

Der Autor
Dr. Jörg Schlenger
Manager Energy & Sustainability, Drees & Sommer SE

Das Event zum Thema

Donnerstag, 30.März.2023
Wohn-Dialog Frankfurt am Main
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