Mit anderen Worten: Unsere Städte und Quartiere bekommen Konkurrenz durch virtuelle Welten. Der Plattformgedanke trifft allerdings sowohl auf digitale als auch auf reelle Räume zu. Ein Erfolgsfaktor der virtuellen Welten ist, dass sie fortwährend aktiv gemanagt werden. Ähnlich wie bei beliebten Hotels, Shoppingcentern und Freizeitanlagen gilt, der gut gemanagte Betrieb macht aus der Plattform – in der realen Welt aus der Immobilie – den Ort, an dem alle sein wollen, neudeutsch: Placemaking. Diesen Gedanken kann man auch auf urbane Räume und ganze Städte übertragen: sollen diese attraktiv werden und bleiben, müssen sie auch im Sinne eines aktiven Placemakings gemanagt werden.
Der Gedanke scheint zunächst womöglich abstrakt oder kompliziert. Tatsächlich ist aber der Begriff Placemaking eine neue Wortschöpfung für eine jahrtausendealte Funktion. Denn schon immer gab es einzelne Menschen oder Gruppen, die durch ihr Wirken den urbanen Raum und seinen sozialen Zusammenhalt geprägt haben. Im alten Rom war es der Wirt der Taverna, im 20. Jahrhundert zum Beispiel die Kneipe oder das Café um die Ecke, bei dem alle zusammentrafen und sich ein Gemeinschaftsgefühl herausbildete.
Nun stellt sich die Frage, wie sehen denn die gefragten „Places“ am Ende dieser Dekade aus? Nicht nur verschwindet die klare Trennung zwischen Wohn- und Arbeitswelten zugunsten einer kombinierten Lebenswelt, auch die Anforderungen an die urbanen Räume steigen stetig: von der Qualität der gebauten Umwelt mit hoher Nachhaltigkeit über den Wunsch nach Identität und Individualität bis hin zum harmonischen Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster sozialer Hintergründe und Kulturen.
Diese hochkomplexen Fragen erfordern ein professionelles, übergeordnetes Placemaking, das die urbanen Räume so betreibt, dass sie zu beliebten Mittelpunkten im Leben der Stadt-Nutzer werden und bleiben. Auch hier ergibt sich also eine Parallele der „Offline-Plattformen“ zum Internetportal: Während die Features und Funktionen zugunsten einer besseren Nutzererfahrung von zentraler Stelle weiterentwickelt werden, erfordern Quartiere ebenfalls eine stetige, zentral koordinierte Weiterentwicklung und immer wieder frische Ideen. Denn am Reißbrett lassen sich zwar intelligente Flächenverzahnungen, verschiedene Nutzungen, Wegesysteme und Freiräume planen. Doch wie sich diese mit Leben füllen und tatsächlich genutzt werden, kann vor Fertigstellung kein noch so erfahrener Experte sagen. Letztlich ergibt sich für einen urbanen Raum ebenso wie bei einer Online-Plattform ein permanenter Beta-Status – oder wie es in der IT heißt: Es reift zusammen mit dem Kunden.
In einem Punkt ist der urbane Raum jedoch gegenüber jeder Online-Plattform benachteiligt: Diese kann quasi unbegrenzt skalieren und, wann immer nötig, neuen Speicherplatz hinzumieten, Stadtfläche hingegen ist rar. Die Immobilienbranche und die Stadtentwicklung haben daher den klaren Auftrag, diese Ressource so sorgsam wie möglich zu nutzen. Dazu zählt eine hohe Flächenintensität mit Räumen, die nicht regelmäßig stunden- oder sogar tagelang leer stehen, ebenso wie die Maßgabe, dass die Flächen mit geringem Aufwand betrieben werden können. „Plattform-Denken“ und Zusammenhänge zwischen den Gebäuden eines urbanen Raums zu erkennen, helfen dabei, die knappe Ressource Stadtfläche entsprechend zu gestalten.
Intelligentes Placemaking und ein gutes Verhältnis zwischen bebauter Fläche und Grünbereichen sowie Orte, die die Menschen zum sozialen Miteinander genauso wie zum kollaborativen Arbeiten einladen, ermöglicht und fördert ein ideales Umfeld für Wohlgefühl und Innovationen. Oder anders gesagt: urbane Räume, in denen jene guten Ideen entstehen, die unser Leben in Zukunft besser machen. Und das wiederum kann ein Metaverse oder eine andere Online-Plattform nur sehr schwer nachmachen.