Die Rolle von ESG-Daten, Digitalisierung und einem Digital Twin für eine nachhaltige Zukunft

Von Digital zu Grün - ESG-Daten, Digitalisierung und ein Digital Twin

In den sich schnell wandelnden Zeiten ist ein veränderter Umgang mit den endlichen Ressourcen entscheidend. Hier stellt sich die Frage, welche Rolle und Wichtigkeit neue Technologien, die Digitalisierung, Daten, Bestandsgebäude und Digital Twins spielen.

Sven Kulik 11. November 2022

Um die Frage nach der Rolle von Technologien, Digitalisierung, Daten, Bestandsgebäuden und Digital Twins für eine nachhaltige Zukunft beantworten zu können, bedarf es branchenübergreifender Nachhaltigkeitsstrategien. Diese Strategien müssen neben den technischen auch die politischen Anforderungen in einen zukunftsfähigen Kontext bringen und in der Unternehmensstrategie verankert werden. Eine solche Strategie benötigt primär qualitative Daten als feste Grundlage, um ein belastbares Fundament darzustellen. Um qualitative Daten für ein Unternehmen zu erheben oder die bereits vorhandenen wirtschaftlich zu nutzen, kommt man unweigerlich auf das Thema der Digitalisierung.

Eine nachhaltige Zukunft durch Digitalisierung
Beide Begrifflichkeiten, Nachhaltigkeit und Digitalisierung, klingen im ersten Moment ambivalent, stehen aber bei genauerer Betrachtung für eine nachhaltigere Zukunft. Digitalisierung kann unter nachhaltigen Gesichtspunkten einen positiven Impact haben, wie durch effizienteren Gebäudebetrieb, aber auch einen negativen, wie unter Umständen einen höheren Energieverbrauch. Jedoch gibt es für Unternehmen keinen allgemeingültigen Handlungsleitfaden zur Umsetzung von Nachhaltigkeit oder Digitalisierung, entsprechend sind auch Mehrwerte und Nachteile individuell zu identifizieren. Daher ist eine individuelle unternehmensspezifische Herangehens- und Betrachtungsweise ein wesentlicher Aspekt. Diese muss das eigene Unternehmensleitbild abbilden, die Vision des Unternehmens widerspiegeln, eine Strategie für Kunden- und Mitarbeiteranforderungen identifizieren sowie die klare Zielsetzung hin zum nachhaltigen Unternehmenserfolg haben. Man muss entsprechend neben den politisch vorgegebenen Zielen auch eigene Unternehmensambitionen festlegen, die im Kontext der Nachhaltigkeit stehen. Diese sollten anschließend auf einzelne Unternehmensteilaspekte abgeleitet werden, denn nur so kann die Digitalisierung mit Unterstützung von Technologien den Wandel zur Nachhaltigkeit unterstützen.

ESG ist datengetrieben und die Grundlage für einen digitalen Wandel
Die Tatsache das ESG datengetrieben ist, bedeutet für ein Unternehmen, dass für ein ESG-Reporting ein fundiertes Datenmodell in der Systemlandschaft erforderlich ist. Für ein Unternehmen ist es daher in einem ersten Schritt wichtig, durch den Aufbau eines Datenmodells die vorhandenen Informationen ganzheitlich aufzubereiten, fehlende Daten respektive Lücken zu identifizieren und diese nutzbar zu machen. Damit können die Anforderungen aus Politik, Gesellschaft und Wettbewerb an die unternehmerische Sichtweise angepasst und vollumfänglich in die Nachhaltigkeitsstrategie eingebettet werden.

Daraus lassen sich zwei Aspekte ableiten; zum einen die Thematik der Bestandsdaten, die bereits im Unternehmen vorhanden sind. Zum anderen die Erhebung neuer Daten, die einen wesentlichen Impact auf Entscheidungen im Unternehmen haben. Durch immer neuere, strengere und umfangreichere Anforderungen hinsichtlich des Nachhaltigkeits-Reportings, stoßen Unternehmen mit der Zeit an die Grenzen des Machbaren, um mit herkömmlichen nicht digitalisierten Mitteln und Methoden Reports zu erstellen. Kommt zusätzlich die Anforderung aus dem eigenen Hause, auf Grundlage von ESG-Kriterien Managemententscheidungen zu treffen, kann ohne Digitalisierungsmaßnahmen ein kritischer Punkt erreicht werden. Denn das Identifizieren, die Erhebung und die Analyse von Daten ist anspruchsvoll und konventionell oft nicht mehr durchführbar. Nehmen wir den Aspekt der Echtzeit- oder echtzeitnahen Daten mit in die Betrachtung auf, sind deren Erfassung und Auswertung nur noch mit einer Veränderung hin zu digitalen Prozessen und Methoden möglich.

Als einfaches Beispiel kann die Datenerfassung durch Sensorik mithilfe von IoT für Verbrauchsdaten oder Analyse von aktuellen Gebäudeinformationen und deren Auswertung herangezogen werden. Sogenannte Smart Buildings müssen nicht nur Daten erzeugen und analysieren, sondern durch die vorhandenen Informationen auch auf Situationen reagieren und Maßnahmen ergreifen, d. h. es muss ein bidirektionaler Datenfluss hergestellt werden. Hierzu sind automatische Belüftungsanlagen, Heizungen, sensorgesteuerte Beleuchtung oder aber der vorbeugende Brandschutz sehr simple und nachvollziehbare Beispiele, bei denen Informationen bidirektional fließen müssen. Unabhängig des Daten- und Informationsflusses muss man sich bewusst sein, dass die Immobilienwirtschaft in Deutschland einen großen Datenschatz vorzuweisen hat, der in den unterschiedlichsten Systemen und Formaten vorliegt und darauf wartet, geborgen sowie genutzt zu werden. Da es sich bei Immobilien immer um Unikate handelt, bedarf es, egal ob auf Gebäude- oder Portfolioebene, einer Strategie, um geeignete Maßnahmen und Ziele zu identifizieren, diese zu bewerten und in die Umsetzung bringen zu können.

Sind die Unternehmensziele gesetzt und steht das Budget zur Verfügung, dann kann es mit der Nachhaltigkeit auf Unternehmens- oder Objektebene ja losgehen, aber was sind nun die ersten Handlungsfelder, wie sehen die entsprechenden Schritte aus und wo soll der Start sein? Diese Fragen lassen sich durch den Aufbau einer Digital Roadmap aufzeigen und mit den Faktoren aus ESG und Nachhaltigkeit erweitern. So kann die Betrachtungsweise je nach Strategie auf der Unternehmensebene oder aber auch auf einem oder mehreren Objekten (Portfolio) liegen.

Auf Objektebene können es speziell für Bestandsgebäude sehr rudimentäre Fragen der Umsetzung sein. Wie beispielsweise, ob bei einem Gebäude zuerst die Gebäudehülle, die Haus- und Leittechnik inkl. erneuerbaren Energieträgern oder beides in einem Schritt umgesetzt wird. Zusätzlich bieten IoT- und Cloud-Maßnahmen, wie eine smarte bidirektionale Anbindung, weiteres Optimierungspotential für den Bestand.

Für diese Handlungsstrategie bedarf es wiederum einer fundierten Datengrundlage, die nicht durch ihre Quantität, sondern primär durch ihre Qualität überzeugt. Im Speziellen ist bei den Daten zu Bestandsgebäuden, welche oft analog oder in Excel-/PDF-Files vorliegen, eine strategische Auswertung und Weiternutzung in der Praxis nur bedingt respektive mit hohem Aufwand möglich. Zusätzlich sind diese Daten quantitativer Natur und nicht qualitativer. Neben fehlenden strukturierten Reportings und unzureichend formulierten Controllinganforderungen führen auch die vorhandene Dateninkonsistenz und mangelhafte Prozesse zu einer enormen Herausforderung für Unternehmen. Wie bereits erwähnt, ergibt sich neben der systematischen strategischen Auswertung von Bestandsdaten auch die Notwendigkeit, neue und teilweise auch noch unbekannte Datenquellen zu erschließen und diese nutzbar zu machen. Bei neuen Daten, die es zu erschließen gilt, sollte der Fokus vorrangig auf Daten liegen, die im ERP-System noch nicht vorhanden sind, gleichzeitig aber die Notwendigkeit aufweisen, erfasst zu werden, sodass sich daraus Potenziale für die Zukunft identifizieren und ableiten lassen.

Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft nur durch den Bestand
Wenn es um Nachhaltigkeitsprojekte und den Einsatz von digitalen Werkzeugen und Methoden im Planen, Bauen und Betreiben geht, liegt der Fokus meist bei Neubauprojekten. Dabei sollten im Vordergrund die Vielzahl an Bestandsgebäuden stehen. Ein Aspekt, der zur Veränderung der Blickrichtung weg von Neubauten führt, unabhängig von ESG und Klimawandel, ist die enorme Anzahl an Bestandsbauten, welche vor 2002 errichtet wurden. Die Bundesarchitektenkammer spricht in einem Bericht von 2021 davon, dass etwa 80 % der Wohngebäude vor 2002 errichtet wurden, diese essenzielle Anzahl an Bestandsgebäuden gilt es, entsprechend politischen und gesellschaftlichen Anforderungen, fit für die Zukunft zu machen. [Quelle 1: Bauen im Bestand, Bundesarchitektenkammer, 2021, S. 6]

Die Zauberformel bei Bestandsgebäuden, um einem Wertverfall vorzubeugen und gleichzeitig Klimaschutzziele einzuhalten, heißt nachhaltige Sanierung. Darüber hinaus ist es für Bestandshalter relevant, über die Wirksamkeit der ESG-Maßnahmen transparent Bericht erstatten zu können. Eine gehaltvolle Berichterstattung ist sehr komplex und betrifft die gesamte Wertschöpfungskette im Unternehmen. Daher kommt spätestens hier das Schlagwort der Digitalisierung wieder zum Tragen, in dem analysiert wird, was und wie zur Erfüllung der ESG-Regularien einen entscheidenden Beitrag leisten soll und kann. Die Bitkom hat eine Studie veröffentlicht, in der aufgezeigt wird, wie durch die Integration von IoT-Services via einer Property-Management-Plattform eine erhebliche Vereinfachung im Verwalten von Immobilien entsteht und gleichzeitig eine Innovationskraft im Unternehmen anläuft, welche nicht nur Prozesse verschlankt, sondern auch die Nachhaltigkeit verbessert.

Hierfür ist es essenziell, nicht einfach nur bestehende Prozesse zu digitalisieren, sondern bei Bedarf jeden Prozess mit allen Möglichkeiten vollständig neu zu designen. Das Ergebnis lässt sich für Unternehmen ebenfalls monetär abbilden, indem Kosten- und Zeiteinsparungen eintreten sowie bspw. ein ressourcenschonenderer (effizienterer) Gebäudebetrieb möglich ist.

Im Kontext der Digitalisierung wird primär an Highend-Neubauten gedacht. Da wir in Deutschland allerdings, wie oben beschrieben, auf 80 % Bestandsimmobilien treffen, bedarf es auch hierfür Lösungen. Diese gibt es bereits sehr umfangreich in Form von IoT-Lösungen, wie z. B. das Vernetzen von Geräten (Smart Devices), Sensorik für Verbrauchsdaten und vieles mehr, die sich mit geringem Aufwand in Bestandsgebäuden nachrüsten lassen. Diese einfachen Mittel können bei richtiger Umsetzung bereits zu einer Verbesserung des Betriebs und der wirtschaftlichen Effizienz eines Gebäudes führen. Durch Digitalisierungsmaßnahmen und das frühzeitige Erkennen von Umständen in einem Gebäude, die einen hohen Impact auf den Betrieb haben, wie falsche Heizleistungen (Energieverbrauch), ein Wasserschaden (Feuchtigkeitserkennung/-messung), oder den vorbeugenden Brandschutz bei Rauch-/Feuerentwicklung in Tiefgaragen (relevant durch Elektromobilität), können diese vermieden werden. Das dadurch entstehende intelligente Gebäude (Smart Building) wird in die Lage versetzt, durch bidirektionalen Informationsfluss Gegenmaßnahmen einzuleiten, und kann so Heizleistungen an die aktuellen Umstände oder die entsprechende Belüftung bei schlechter Luftqualität anpassen.

Digitalisierung als Grundlage zum Digital Twin
Ein Digitaler Zwilling oder Digital Twin ist die Grundlage für ein smartes Ökosystem und benötigt selbst ein Fundament, welches aus Digitalisierungs-, Daten- und Bestandssicht betrachtet werden muss. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen sowie die Erkenntnis, das ESG datengetrieben ist und die Notwendigkeit einer Bestandsoptimierung eine Möglichkeit darstellt, mit ersten Schritten einem ganzheitlichen Digital Twin näherzukommen. Gleichzeitig bildet man die ersten grundlegenden Pfeiler zum sukzessiven und durchgängigen Aufbau eines ganzheitlichen, interdisziplinären, integrierten und zukunftssicheren Smart Building Ecosystem. Der Vorteil eines aufgebauten smarten Ökosystems, vor allem in urbanen Ballungsräumen, besteht darin, dass nicht nur der Environmental-Aspekt, sondern auch intensiv in den Social-Aspekt von ESG eingezahlt wird. Die soziale Attraktivität durch ein smartes Ökosystem kann aus vielerlei Hinsicht bestehen, z. B. durch bezahlbaren Wohnraum, eine/-n gesünderen Lebensraum und Lebensweise. Zusätzlich kommen diverse Vorteile hinzu, wie Mieter-Apps mit umfassendem Service- und Erlebnisportfolio, Sharing-Leistungen, Smart Building Dashboards zum Gebäude bzw. zur Umgebung, Live-Einblicke in die eigenen Verbrauchswerte, New Work, Freizeitaktivitäten und vieles mehr.

Implementierungsfahrplan von Digital zu Grün
Sobald die Rahmenbedingungen hinsichtlich der Strategie durch eine Digital Roadmap mit definierten Zielen hin zum digitalen Zwilling respektive Smart Building Ökosystem festgelegt sind, kann die Implementierungsphase beginnen. Für diese bedarf es eines geklärten Ist-Zustandes, der Datengrundlage und Zielsetzung zu einem Soll, welche im Rahmen einer Digital Roadmap definiert wird. Es müssen die Datenanforderungen und Lieferobjekte in Form eines Daten- oder Entity-Relationship-Modells identifiziert sein, welche die ESG-Faktoren beeinflussen. Außerdem muss eine unternehmensspezifische Reifegradanalyse durchgeführt, ein Kostenrahmen erfasst und freigegeben, die Mitarbeitenden/Teams eingebunden sowie die Prozesse und Workflows im Vorfeld entworfen, konzipiert und entwickelt werden. Um nun das Datenmaterial in die digitale Welt bringen zu können, ist die Implementierung in kurzfristige, mittelfristige und langfristige Phasen zu untergliedern und im Rahmen der Digital Roadmap zu definieren. In jeder dieser Phasen gilt es, abgestimmt auf die Unternehmensstrategie und den aktuellen Reifegrad, Maßnahmen zu ergreifen, die aus wirtschaftlicher, technischer und politischer Sicht sinnvoll sind. Diese kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Maßnahmen sind ganzheitlich zu betrachten und müssen die Zielsetzung widerspiegeln, die sich aus ESG-Anforderungen, Gebäudebestand, Datenlage und IoT-Lösungen ergeben. So kann der Blick in die Zukunft gerichtet werden, hin zu einem digitalen Zwilling und smarten Ökosystem.

Fazit/ Key Facts
Zusammengefasst kann man sagen, dass Nachhaltigkeit nur dann vollumfänglich erreicht werden kann, wenn man die Aspekte von qualitativen Daten und der Digitalisierung in die Unternehmensstrategie verankert sowie diese in einen Gesamtkontext zusammenführt. Hierbei ist wichtig, dass die Qualität von Daten und Informationen für unternehmerische Entscheidungen höher zu bewerten sind als die quantitativen Aspekte. Es sollte in der Strategieentwicklung und in der Identifikation von Handlungsfeldern im Rahmen der digitalen Transformation ein ganzheitlicher Blick gewahrt werden. Dieser Blick sollte auch die Mehrwerte, die durch einen digitalen Zwilling respektive durch ein Smart-Building-Ökosystem entstehen in die Bewertung der Vor- und Nachteile mit einfließen. In der Umsetzung ist es aus unternehmerischer Sicht sinnvoll, die Grundlagen durch das Erarbeiten einer Digital (ESG) Roadmap zu schaffen.

Der Autor
Sven Kulik
Manager, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

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Montag, 13. Februar - Mittwoch, 15. Februar 2023
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