Der Autor
Stefan WulffGeschäftsführender Gesellschafter, OTTO WULFF
Wer heute die Zeitung aufschlägt, das Radio einschaltet oder im Internet recherchiert, findet zum Immobilienmarkt und zur Baubranche nichts als schlechte Nachrichten. Schlagzeilen wie „Der Bau-Boom ist zu Ende“ oder „Zeitenwende auf dem Immobilienmarkt“ beherrschen sämtliche Kanäle. Auch die Verbände schlagen Alarm: So berichtete der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) Ende Oktober, dass nach den Daten des Statistischen Bundesamtes die Unternehmen des Bauhauptgewerbes mit 20 und mehr Beschäftigten bis zum August einen Umsatz von ca. 65,7 Mrd. Euro generierten - nominal ein Zuwachs um 11,5 %, real ein Rückgang um 4,3 %. Besonders hart trifft es den Wohnungsbau, der laut ZDB im Vergleich zu 2021 real 11 Prozent zurückfiel. Auch der Immobilienstimmungsindex, den der Zentrale Immobilienausschuss (ZIA) zusammen mit dem Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln herausgibt, spiegelte Ende September die angespannte Lage wieder. Immobilienunternehmen spürten vor allem die zunehmenden Mehrbelastungen bei Baukosten und Zinsen, die nachlassende Kaufkraft von Mieterinnen und Mietern sowie die steigenden Energiepreise, die bis zur nächsten Nebenkostenabrechnung vorfinanziert werden müssen, so die Studie. Umsatzrückgänge und hohe Energiepreise ließen auch die Gefahr von Mieter-Insolvenzen im gewerblichen Bereich steigen.
Teilbranchen vor unterschiedlichen Herausforderungen
In unserem Unternehmen OTTO WULFF erlebe ich, dass die Negativ-Perspektiven insbesondere jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter belastet. Wer schon länger dabei ist, erinnert sich natürlich an frühere Krisen, allen voran die Subprime-Krise 2008 / 2009. Und wer, wie OTTO WULFF mit unserer 90jährigen Firmengeschichte, auf noch längere Zeiträume zurückblickt, der weiß: Trotz allem stecken in solchen Krisensituationen auch Chancen. Ohne zynisch zu klingen, denn fraglos erleben wir schwierige Zeiten, möchte ich daher dafür werben, nicht völlig schwarzzumalen. Denn auch jetzt gilt es, rational auf die Marktherausforderungen zu schauen und sie genau zu analysieren bzw. zu differenzieren. Denn die einzelnen Teilbranchen – zum Beispiel die Märkte für Wohnungsbau, Gewerbebau oder Infrastruktur – haben unterschiedliche Ausgangslagen und Perspektiven. Zudem spielen strategische Aspekte wie Nachhaltigkeit und Digitalisierung eine große Rolle dafür, ob wir die aktuelle Situation tatsächlich nur als Hemmnis sehen oder auch als Chance, Bauen und Immobilienentwicklung neu zu denken.
Erfahrungswerte nutzen und weiterentwickeln
Bei OTTO WULFF sind wir so breit aufgestellt, dass wir mit all diesen Themen in Berührung kommen. Als Familienunternehmen entwickeln und bauen wir Wohn- und Gewerbeprojekte, Schulen und Krankenhäuser. Auch der Infrastrukturbau gehört zunehmend zu unseren Geschäftsfeldern. An den drei Standorten Hamburg, Berlin und Leipzig realisiert OTTO WULFF mit mehr als 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern somit die vielseitigsten Projekte. In Partnerschaft mit anderen Akteuren wie Rheinmetall AG oder HAMBURG TEAM entwickeln wir ganze Quartiere wie aktuell die Kolbenhöfe in Hamburg-Ottensen und das Löwitzquartier in Leipzig-Mitte. Für die öffentliche Hand sind wir Partner für moderne Lern-, Familien- und Gesundheitsorte.
Wir schreiben integriertes Planen und Realisieren groß und setzen von der Konzeption über die Ausführung bis hin zu Mängelbeseitigung und Kundenmanagement auf besten Service und Qualität. Wir kümmern uns um Business Improvement Districts (BID) als Programme zur Qualifizierung von Innenstädten und öffentlichen Räumen. Modernes digitales Planen mit Hilfe von BIM-Methoden gehört bei uns ebenso selbstverständlich dazu wie das Bauen und Betreiben von Gebäuden nach modernsten Nachhaltigkeitsstandards. Hierzu erforschen und erproben wir im Rahmen des EU-Projekts „Circular Construction in Regenerative Cities“ (CIRCUIT) gemeinsam mit Partnern aus freier Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlicher Hand insbesondere die Perspektiven vom Recycling-Beton.
Fünf Perspektiven
Vor dem Hintergrund dieser breiten Erfahrungswerte möchte ich den Herausforderungen der aktuellen Situation zum Trotz fünf konkrete positive Perspektiven entwickeln.
1. Deutschland benötigt weiterhin Gebäude und Infrastruktur, sei es für den Wohnungsmarkt, sei es für Bildung, Gesundheit, Öffentlichen Raum oder Verkehr. Sicher lassen sich viele Vorhaben unter den aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen nur erschwert und verzögert realisieren, aber der Bedarf bleibt vorhanden.
2. Insbesondere qualitätsvolle nachhaltige Gebäude und Ingenieurbauwerke werden sich verstärkt durchsetzen. Es lohnt sich mehr denn je, in das nötige Know-How zu investieren.
3. Wo manche Marktbereiche sich schwertun, eröffnen sich für andere Perspektiven. Es gilt, die unternehmerischen Schwerpunkte flexibel und nachfrageorientiert zu setzen. Zum Beispiel bei der Sanierung: Das Umweltbundesamt ging 2019 davon aus, dass grob geschätzt 14 Millionen Gebäude in Deutschland energetisch saniert werden müssten. Laut einem Gebäudereport der Deutschen Energieagentur (DENA) gab es Ende 2021 rund 19 Millionen Wohn- und rund zwei Millionen „Nichtwohngebäude“ – etwa Bürogebäude, Krankenhäuser oder Betriebe in Deutschland. Damit wären ungefähr zwei Drittel aller heutigen Gebäude bis 2045 zu sanieren.
4. Die aktuellen Materialengpässe und Preissteigerungen, aber auch die Klimafrage bringen nicht nur neue Herausforderungen, sondern auch neue Lösungen hervor. Wenn die Bundesregierung etwa vorgibt, dass im Gebäudesektor die Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 66 bis 67 Prozent sinken müssen, oder der Hamburger Senat das Ziel ausgibt, bis 2045 Wohnungsbau klimaneutral zu betreiben, dann kann man die Umsetzbarkeit mit gutem Grund hinterfragen. Klar ist aber auch: Wir müssen uns auf den Weg dahin machen. Die Bandbreite der möglichen Maßnahmen ist groß: Sie reicht von neuen technischen Verfahren oder strategischen Partnerschaften bis hin zur Konzeption und Erschließung neuer Geschäftsfelder.
5. Auch ohne den Ukraine-Krieg wäre die Hochphase der Bau- und Immobilienbranche irgendwann abgeflacht. Nicht so dramatisch, natürlich, aber unendlich hätte der Boom der letzten Jahre meiner Meinung nach nicht weitergehen können. Zum Glück wären aber auch Krisen nicht unendlich, wie der Blick auf die Marktgeschichte zeigt. Daher gilt es, diese schwierigen Zeiten mit möglichst klarem Kopf durchzustehen und sie nach Möglichkeit zu nutzen, sich auf die kommenden Trends – Stichworte Nachhaltigkeit und Digitalisierung - einzustellen. Je mehr uns das gelingt, desto schneller werden wir auch wieder konstruktive Perspektiven für die Bau- und Immobilienbranche entwickeln.