Der Autor
Stephan LeimbachHead of Office Investment, JLL
1. Das Büro muss sich um die Menschen bewerben.
Früher hatte man sich täglich an seinem fest zugeordneten Schreibtisch einzufinden. Ob dieser allein in einem großem Eckbüro stand oder mittendrin im „Open Plan“ – um diesen Ort drehte sich die Arbeit. Auch vor 2020 haben manche Unternehmen schon anders gearbeitet, aber erst Corona hat diese alte Welt für fast alle Bürobeschäftigten gesprengt. Heute gilt: Wenn ich nicht mehr ins Büro gehen muss, dann muss das Büro so attraktiv sein, dass ich hingehen will. Sonst bleibt es leer. Auch hier ist die Welt nicht schwarz und weiß, aber Belegungsraten von teils weit unter 50% sprechen eine klare Sprache. Das Büro ist zu einem von mehreren Orten der Arbeit geworden. Die Menschen fordern ihr Wahlrecht zwischen diesen Orten ein und werden das zukünftig noch stärker tun.
2. „Fully Remote Jobs“ wird es in Zukunft kaum noch geben.
Wer sich einen Job wünscht, der ohne Einschränkungen zu 100 Prozent ortsungebunden erledigt werden kann, denkt vielleicht kurzfristig. Solche Jobs wird es immer weniger geben, zumindest bei uns. Denn was Peter in seinem deutschen Homeoffice macht, könnte vielleicht auch Piotr in Polen oder Mohd in Indien tun – für einen Bruchteil der Kosten. Aus Unternehmenssicht noch besser wäre, wenn gleich die künstliche Intelligenz übernähme. Auch das wird wohl bei vielen Routinejobs in den kommenden Jahren Realität werden.
3. Büros werden zu sozialen Orten oder können weg.
Was macht ein Büro so attraktiv, dass es gern und oft genutzt wird? Aus meiner Sicht vor allem zwei Dinge: Zum einen muss mich das Büro produktiv machen. Ich muss Bedingungen vorfinden, die mich schneller oder besser als anderswo arbeiten lassen. Zum anderen muss ich mich wohlfühlen. Kein Mensch arbeitet gern an einem Ort, an dem er sich unwohl fühlt. Neben vielen kleinen und großen Aspekten, die bei Menschen individuell zum Wohlbefinden beitragen, ist ein wichtiger Punkt die Interaktion mit Anderen. Menschen sind soziale Wesen. Während konzentrierte Einzelarbeit prima im Homeoffice funktioniert, ist das Büro der perfekte Ort für die persönliche Interaktion. Gerade Kreativität und Innovation entsteht am besten im persönlichen Miteinander. Darüber hinaus muss das (zentrale) Büro zum Dorfmittelpunkt, zum Lagerfeuer werden, an dem die Menschen zusammenkommen und das Wesen des Unternehmens spüren und erleben können. Traditionelle Büros, die kaum mehr bieten als Schreibtische, haben dabei keine Chance, stellen aber aktuell immer noch die große Mehrheit des Bürobestands.
4. Der Wettbewerb um Talente wird eher wegen der Unternehmenskultur als wegen des Bürokonzepts verloren.
Was nützt das schönste Büro, das beste hybride Workplace Konzept in einer schlechten Unternehmenskultur? Wenn ich mich nicht gut mit meinen Kolleginnen oder Kollegen verstehe, werde ich vermeiden, sie im Büro zu treffen. Das gleiche gilt für Vorgesetzte. Eine Unternehmenskultur, die fordert und fördert, die Werte definiert und lebt, die angstfreie und sichere Räume schafft und die einen Sinn in der Arbeit vermittelt, wird wichtiger denn je für den Recruiting- und Unternehmenserfolg. Dies vorzuleben ist zuallererst die Aufgabe des Top-Managements. Aber auch das mittlere Management ist nun ganz anders gefordert. Oft werden die jungen Führungskräfte allein gelassen. Learning by Doing heißt die Devise. Also tastet man sich langsam an gute Führung heran. Und jetzt soll das auch noch auf Distanz funktionieren. Neues Arbeiten erfordert neue Führung. Wer seine Unternehmens- und Führungskultur nicht anpasst und die Führungskräfte auf dem Weg unterstützt, wird auch in einem perfekten Büroumfeld keine leistungsfähigen und zufriedenen Menschen vorfinden.
Wie verlässlich sind diese Thesen? Beschreiben die exakt die Zukunft? Vermutlich nicht. Aber es lohnt sich, über die genannten Aspekte nachzudenken. Denn sicher ist, dass die Bürowelt in einem Umbruch ist. Mit manchen Risken, aber auch vielen Chancen, und zwar für alle Beteiligten.