Yvonne Traxel: Wieviel Potenzial hat aus deiner Sicht der Markt für vermietbare Wohnflächen (longstay/shortstay)?
Benjamin Oeckl: Wenn wir uns die Faktoren ansehen, die den Markt des Temporären Wohnens befördern, dann sehen wir eher eine größere Anzahl an Indikatoren für den Trend als dagegen. Urbanisierung, Versingelung, Alterung der Gesellschaft, Vereinsamung und Community, Sharing Economy, Mobilität, Digitalisierung, Komfort und Erlebnis-Gesellschaft, die Liste ist lang. Und das Potential ist sehr groß. Zudem ist das Angebot für Temporäres Wohnen breit und vielfältig. Neu hinzugekommen sind große wirtschaftliche Unsicherheiten durch die stagnierende Wirtschaft und den Krieg in Europa, den wir alle nicht für möglich hielten. Diese Trends fördern eher den Wunsch nach flexibleren, kurzfristig verfügbaren und kurzfristig kündbaren Unterkünften. Selbstverständlich verändern sich die Gründe für den Aufenthalt seit Corona – so könnten Pendlerzahlen eher rückläufig sein, dafür kommen andere Gruppen hinzu, die vorher nicht klassische Zielgruppen waren. Fachkräfte werden nach wie vor dringend am Standort Deutschland benötigt. Auch das Home Office wird den Bezug zum Büro-Alltag nicht vollständig auflösen können, wie wir aus den vergangenen Monaten der Corona Pandemie gelernt haben. Home-Office wird bleiben, aber die Befürchtungen, dass aufgrund der starken Veränderungen des Büro-Alltags mit Home-Office, Mikro-Apartments, Long-Stay und Temporäres Wohnen weniger Bedarf erfahren werden, teilen wir nicht pauschal. Das kommt immer auf den jeweiligen Standort und die Nachfrage an – wenn die Immobilie vorher mit Bedacht ausgewählt und das Angebot genau auf die Wünsche der Zielgruppen ausgelegt wurde, sind diese auch sehr gut durch die Krise gekommen. Das haben viele unserer Kunden besonders in den letzten 2 Jahren mehrfach gezeigt.
Yvonne Traxel: Haben es neue Player im Markt künftig schwerer, sich zu etablieren oder leichter?
Benjamin Oeckl: Wir erwarten tendenziell eine Angebotsausweitung im Markt, besonders im gewerblichen Wohnen im Hinblick auf Long-Stay. Große Ketten drängen in den Markt, da der Serviced Apartment Markt im Vergleich zu der Hotellerie deutlich besser durch die Krise gekommen ist. Dies wird den Wettbewerbsdruck weiter erhöhen. Gleichzeitig reduzieren Projektentwickler laut Felix Embacher der Bulwiengesa AG Ihre Aktivitäten aufgrund der sich weiter verteuernden Grundstücke in urbanen Zentren sowie den rapide steigenden Baukosten. Statt Neubau nimmt der Anteil an Konversionen stetig zu, da neue Nutzungen vor allem für Gewerbeimmobilien gefunden werden müssen; alleine in diesem Jahr begleiten wir Konversionen von einem Büro in 77 Mikro-Apartments in Frankfurt, ein ehem. Hotel wird zu einem Serviced Apartment Haus in München und eine Gewerbeimmobilie wurde in Siegen zur Heimat von knapp 100 Studenten. Kleinere Einheiten und effizientere Grundrisse rechnen sich aufgrund der absoluten Mietpreise besser und die Menschen tauschen Flexibilität und Ausstattungskomfort für ein paar Quadratmeter weniger Fläche. Es ist zu erwarten, dass die Preise für Wohnraum in überschaubarer Zeit nicht rückläufig sein werden, wenn auch in manchen Orten vorläufig das Maximum an der (Miet-) Zahlungsbereitschaft erreicht ist. Oder in anderen Worten: Während die Mieten für Mikro-Apartments nominal noch etwas steigen könnten, werden sie wohl doch unter der Inflationsrate liegen. Die steigenden Energiekosten werden die Gesamtkosten unabhängig von den Eigentümern und Betreibern zusätzlich in die Höhe treiben.
Vor diesem Hintergrund haben es neue Player, die sich mit diesen Gegebenheiten konfrontiert sehen, deutlich schwerer, sich am Markt etablieren zu können. Zudem haben die heutigen Betreiber und Player am Markt viel Erfahrung gesammelt, durch die Krise viel lernen können und wissen heute, wie man auch in schwierigen Zeiten wirtschaftlich sinnvoll agieren kann. Dies ist ein großer Vorteil, da sie (kosten-)effizienter und gezielter auf Gäste- und Mieterwünsche eingehen können. Neue Player müssen erst ihre Nische finden und kaufen bzw. pachten womöglich zu höheren Einstiegspreisen. Das Motto von Kurt Zech, Gründer der Zech Group und einer der großen der Branche: „Der Gewinn liegt im Einkauf“ finde ich hier als mahnendes Beispiel richtig. Bei den aktuell aufgerufenen Pacht- und Grundstückspreisen sowie den Baukosten wird wirtschaftlich nachhaltiges agieren für Projektentwickler, Betreiber aber auch auf Investorenseite immer schwieriger. Es gibt keinen Fehlerpuffer mehr, jedes neue Angebot am Markt muss gleich von Anfang an den Nerv der Bewohner treffen.
Yvonne Traxel: Brauchen Gemeinschaftsflächen einen Community Manager, um sie am Leben zu halten?
Benjamin Oeckl: Bei BelForm sind wir der Meinung, dass es nicht immer die Community Vollversion mit Community Manager und moderierten Events benötigt, um ein Haus erfolgreich und profitabel zu bewirtschaften. Community Wohnen, egal ob wohnwirtschaftlicher oder gewerblicher Natur, ist ein eigenes Geschäftsmodell, wenn man es sinnvoll betreiben will. Das verstehen unsere Kunden, die wir über den Weg von Konzeption bis Ausstattung und Bewirtschaftung begleiten. Im Community Wohnen sind die wirtschaftlichen Parameter deutlich anders zu setzen als bei einem klassischen Serviced Apartment oder wohnwirtschaftlichen Micro-Living. Wir haben bereits viele erfolgreiche Beispiele für unsere Kunden umgesetzt, wo wir Gemeinschaftsflächen in Häusern geplant und eingerichtet haben, die ohne Personal gut funktionieren. Diese Flächen brauchen Pflege, aber nicht unbedingt einen kostenintensiven Community Manager.
Yvonne Traxel: Was macht den richtigen Fit für ein Apartment aus? Wie wichtig sind Features, Lage und Zielgruppe?
Benjamin Oeckl: Für wirtschaftlich nachhaltige Häuser, also auch immer Sinne der langfristigen Vermietbarkeit, ist es heute extrem wichtig, den richtigen Mix aus verschiedenen Faktoren zu finden: Mikro-Lage, Gegebenheiten Immobilie, Zielgruppe und Nachfragepotential, Ausstattung, Monatspreis und Bewirtschaftungskonzept. Nur in wechselseitiger Abstimmung der einzelnen Faktoren und der richtigen Abstimmung untereinander können wir für unsere Kunden Häuser formen, die sich erfolgreich am Markt etablieren und nachhaltig betreiben lassen. Jede Immobilie ist anders, mit ganz eigenen Gegebenheiten, daher betrachten wir jedes Vorhaben sehr individuell. Wir haben in unserer knapp zehnjährigen Tätigkeit noch nie ein Projekt gehabt, dass einem anderen hinsichtlich dieser Faktoren geglichen hat.
Yvonne Traxel: Wie übersteht die Temporäre Wohnwelt die nächste (Energie-)Krise?
Benjamin Oeckl: Neue Häuser müssen sich noch stärker dem Thema Energieverbrauch widmen. Dies betrifft sowohl den Bau und die Verwendung von Materialien als auch die Kosten der späteren Bewirtschaftung. Energiespeichersysteme, Geothermie, Blockheizkraftwerke, Solaranlagen bzw. ein Mix verschiedener Möglichkeiten sowie Optimierung des Energieeinkaufs durch spezialisierte Anbieter werden in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen. Viele Häuser sind heute überhaupt nicht in der Lage, eine Nebenkostenabrechnung vorzunehmen, doch die CO2 Umlage setzt genau dies voraus. Das frühere Sparen an der Haustechnik erweist sich hier als teures Unterfangen, denn nun müssten womöglich die komplette Zähler-Infrastruktur vieler Häusern neu aufgesetzt werden. Wenn das Thema der steigenden Energiekosten weiterhin durch politische Krisen und Kriege ausgelöst wird, müssen wir uns schneller in Richtung autonomer Energieversorgung mit Nullemissions- bzw. Nullenergiehäuser (Passivhäuser) weiterentwickeln. Prof. Timo Leukefeldt vertritt schon seit Jahren die Strategie, den Wärme-, Strom- und E-Mobilitätsbedarf von Immobilien autark zu decken und nur ein Minimum aus dem Energienetz zu verwenden. Dies wird auch die Streichung des KfW-55 Programms seit Anfang 2022 nicht dauerhaft aufhalten können.
Yvonne Traxel: Welche Auswirkungen siehst Du bei immer weiter steigender Inflation?
Benjamin Oeckl: Die Inflation treibt die Preise immer weiter nach oben. So ist beispielsweise der Erzeugerpreisindex gewerblicher Produkte im Februar 22 um knapp 26% gestiegen. Verbraucher mussten für Haushaltsenergie und Kraftstoffe 22,5 % mehr zahlen als im Februar 2021. Das bedeutet natürlich, dass die Mieten auch ohne Erhöhungen der Kaltmieten durch die Nebenkosten weiter steigen werden. Doch bei All-In Mieten, die ja vor allem in wohnwirtschaftlichen (Mikro-)Apartmenthäusern angeboten werden, können Eigentümer bei laufenden Mietverträgen die Preise der steigenden Nebenkosten nicht dynamisch anpassen, sondern müssen womöglich auf den Abschluss von Neuverträgen warten. Zudem steigen die Preise für Neubauten alleine durch die explodierenden Baukosten weiter an. Auch das Thema Ausstattung ist betroffen: Wir haben trotz unserer sehr schlanken, hochautomatischen Serienfertigung Preissteigerungen seitens unserer Zulieferer zwischen 10-40% verkraften müssen, was auch die Kosten für die Herstellung der Apartment-Ausstattung in die Höhe treibt. All diese Kosten müssen bezahlt werden, was sich letztlich in höheren Mietpreisen und höheren ADR’s (Durchschnittl. Übernachtungsraten in Beherbergungsbetrieben) wiederspiegeln wird, sofern noch Puffer ist. Es bleibt abzuwarten, ob die Preissteigerungen 1:1 weitergegeben werden können, da in vielen Fällen die Preiselastizität ausgereizt ist. Im gewerblichen Bereich können zwar die steigenden Energiekosten, sofern noch Spielraum in den ADR’s vorhanden ist, schneller angepasst werden, jedoch ergibt sich hier das Problem der steigenden Lohnkosten. Beherbergungsbetriebe haben eine höhere Personalstruktur und damit das Problem, dass aufgrund der steigenden Lebenshaltungskosten auch die Personalkosten nachrangig ansteigen, was die Lohn-Preis Spirale weiter befeuert. Man muss sich nur die aktuellen Forderungen der Gewerkschaften durchlesen und sieht, was da auf uns zukommt. Wir können nur hoffen, dass sich der Krieg in der Ukraine und die Beziehung zu Russland zeitnah lösen lässt und die bestehenden Beeinträchtigungen der Lieferketten in diesem Jahr wieder annähernd zur Normalität zurückkehren.