04.02.2022
Hannah Helmke

Die langfristige Klimawirkung von Immobilien messbar machen

„Temperature Alignment“ – Grad Celsius als neue Standardwährung

Der Immobiliensektor muss mehr zum Klimaschutz beitragen. Entscheidend dabei ist, eine messbare und vergleichbare Kennziffer für die Klimawirkung einer Immobilie zu etablieren. Diese kann langfristig nur Grad Celsius heißen.

Der Immobilienwirtschaft kommt eine herausragende Bedeutung beim Klimaschutz zu. Nach Angaben des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA) zeichnet der Gebäudesektor für etwa 30 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Dass sowohl in der Branche als auch in der Politik die Bedeutung von Gebäuden für den Klimaschutz zunehmend stärker in den Blick genommen wird, ist deshalb sehr begrüßenswert. Für Investoren, Mieter und Finanzierer wird Nachhaltigkeit immer häufiger zu einem wichtigen Kriterium. Zugleich müssen sich Marktteilnehmer auf immer neue Gesetze, Verordnungen, Richtlinien und Fördermaßnahmen seitens des Gesetzgebers einstellen. Der „Green Deal“ der EU mit EU-Taxonomie sowie zahlreiche weitere Regularien sind nur der Anfang.

Die Vielzahl an Maßnahmen und Kriterien verunsichert viele Marktteilnehmer. Denn eine Abgrenzung und Bewertung von Artikel-8- und Artikel-9-konformen Immobilieninvestments gemäß EU-Offenlegungsverordnung, Energieausweisen und KfW-Effizienzhausstandards wird zunehmend zu einer Wissenschaft für sich. Ganz zu schweigen von den zahlreichen unterschiedlichen Zertifizierungen und der derzeitigen Diskussion um die EU-Taxonomie. Darüber hinaus zeigt der im Januar 2022 verkündete plötzliche Stopp der KfW-Fördermaßnahmen für den Effizienzhausstandard 55, dass auch kurzfristige Richtungswechsel immer wieder vorkommen können. Eine weitsichtige Planung ist für Investoren nicht leicht. Aus diesem Grund sollte das Thema „Temperature Alignment“ mehr in den Blick genommen werden. Ein langfristig mit den Pariser Klimazielen vereinbarer Reduktionspfad für einzelne Gebäude oder Immobilienportfolios sorgt dauerhaft für Planungssicherheit, wo es eine Regulierung, die sich im Mikromanagement von Betriebs- und Investmentprozessen erschöpft, nicht leisten kann.

Die Klimawirkung in Grad Celsius ist entscheidend

Nachhaltigkeit hat viele Facetten, das zeigt allein das gebräuchliche Buchstabentrio „ESG“ für „Environment, Social, Governance“. Allein „Environment“ steht selbstverständlich für wesentlich mehr als den Klimaschutz. Beschränkt man sich in der Betrachtung jedoch auf das Thema Klimaschutz, steht der CO2- oder Klimafußabdruck im Fokus. Dieser soll die Emission von Treibhausgasen, insbesondere CO2, in der Einheit „Tonne CO2-Äquivalent“ bemessen. Das Problem dabei: Das ist nicht lebensnah, kaum jemand kann sich darunter etwas vorstellen. Hinzu kommt, dass diese reine Mengenbetrachtung kaum vergleichbar ist: Eine Tonne CO2 ist für eine Doppelhaushälfte anders zu bewerten als für ein Bürohochhaus oder gar eine Logistik- oder Produktionsimmobilie. Die Verhältnismäßigkeit ist entscheidend und droht bei einer reinen Betrachtung von CO2-Emissionsmengen aus dem Blick zu geraten. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass die Wirkung auf das Klima durch den Emissionsausstoß über einen langen Zeitraum entsteht. Entsprechend ist es zu kurz gesprungen, lediglich auf ein „Netto Null“-Ziel in einem bestimmten Jahr zu schauen. Netto Null im Jahr 2045 nützt uns nichts, wenn bis dahin die Emissionen unkontrolliert steigen – der Schaden für das Klima wäre immens. Zusätzlich wird der positive Effekt durch Einsparungen immer geringer, je später damit begonnen wird.

Damit wird deutlich: Es ist viel aufschlussreicher, auf den Klimaeffekt zu schauen als auf die Emissionen selbst.

Die zentrale Frage lautet also: Welche Auswirkung hat der Betrieb einer konkreten Immobilie auf die globale Klimaerwärmung? Eine für jeden verständliche Antwort darauf liefert die Umrechnung der CO2-Emissionen in ihre Wirkung – gemeint ist der Grad-Celsius-Klimaeffekt. Mithilfe geeigneter Modelle kann im Rahmen einer sogenannten „Temperature-Alignment“-Analyse der verschwindend geringe Effekt eines einzelnen Objekts auf die gesamte Welt skaliert werden. Das Verfahren erlaubt somit eine konkrete Aussage, ob es sich bei einem Gebäude um eine 3,0-Grad-Immobilie, um eine 2,5-Grad-Immobilie oder gar um eine Paris-konforme 1,5-Grad-Immobilie handelt. Letztere wäre somit ein Objekt, das geeignet ist, das Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens von maximal 1,5 Grad Celsius Erderwärmung einzuhalten. Und darauf kommt es schließlich an.

Effiziente Sanierungspläne durch „Temperature Alignment“

Noch wichtiger als die statische Analyse des Status quo ist allerdings die dynamische Analyse der Auswirkungen von Sanierungsmaßnahmen auf die Klimabilanz von Gebäuden. Betrachten wir zur Veranschaulichung das konkrete Praxisbeispiel eines Bürogebäudes mit Gasheizung und Strombezug gemäß typischem deutschen Strommix. Im Ist-Zustand käme das Bestandsgebäude auf ein „Temperature Alignment“ von 2,6 Grad Celsius. Eine Fassadendämmung im Jahr 2025 würde die Heizungsemissionen um 50 Prozent senken und aus dieser 2,6-Grad- eine 2,1-Grad-Immobilie machen, was allerdings noch nicht für Paris-Konformität ausreicht. Wird die Fassadendämmung jedoch zusätzlich um eine Wärmepumpe und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach ergänzt, sinken die Heizungsemissionen um 95 Prozent und der Stromverbrauch um 50 Prozent. Im Ergebnis entsteht auf diese Weise ein Paris-konformes 1,5-Grad-Objekt.

Entscheidend für eine 1,5-Grad-Immobilie ist der Reduktionspfad bis zum Jahr 2050. Häufig wird die Auswirkung von Bestandssanierungen überschätzt, vor allem aufgrund des Zeitpunkts, an dem sie durchgeführt werden. Wichtig ist deshalb, dass die effektivsten Reduktionsmaßnahmen so früh wie möglich umgesetzt werden. Denn da selten alle Maßnahmen gleichzeitig umgesetzt werden können, spielt die richtige Reihenfolge eine große Rolle für den Klimaeffekt. „Temperature Alignment“ ermöglicht es, verschiedene Sanierungsmaßnahmen im Vorfeld hinsichtlich ihrer konkreten Klimawirkung zu analysieren und einen möglichst effizienten Zeitplan für eine Sanierung auch unter Berücksichtigung der Kosten zu erstellen.

Langfristige Planungssicherheit für Investoren

Im Ergebnis steht ein quantitativ messbares und über alle Immobiliensegmente und sogar Assetklassen hinweg vergleichbares Ergebnis für eine Einzelimmobilie oder ein gesamtes Portfolio: eine Verbesserung der Klimawirkung um X Grad Celsius auf einen gesamten Klimaeffekt von Y Grad Celsius, im Idealfall also 1,5 Grad oder weniger, was Paris-Konformität bedeuten würde. Sämtliche Marktteilnehmer profitieren von einer für jeden Laien verständlichen Kennzahl, mit der Transparenz und Vergleichbarkeit von Investments geschaffen werden kann. Nicht nur Käufer und Verkäufer können den Klimaeffekt einer Immobilie und die sich daraus ergebenen noch notwendigen Sanierungsmaßnahmen auf dem Weg zur Paris-Konformität in Verhandlungen nutzen. Auch Vermieter können sich am Markt entsprechend positionieren und Mieter auf nachhaltige Angebote achten.

Insbesondere Investoren können das „Temperature Alignment“ dazu nutzen, um ihr Portfolio am Markt langfristig resilient und nachhaltig gegenüber neuen regulatorischen Maßnahmen zu gestalten. Mit der konsequenten Verfolgung eines 1,5-Grad-konformen Reduktionspfads ist sichergestellt, dass die Immobilie langfristig zu wettbewerbsfähigen Konditionen vermarkt- und vermietbar sein dürfte – auch unabhängig von sich ändernden regulatorischen Rahmenbedingungen oder der Aussagekraft von wechselnden Zertifizierungen. Zudem lässt sich diese Kennziffer unkompliziert in das Nachhaltigkeitsreporting für ein Einzelobjekt oder ein gesamtes Portfolio integrieren.

Die Pariser Klimaziele werden langfristig die Leitplanken der europäischen Klimapolitik bilden – wer sich hierfür breit aufstellt und neben den jetzigen regulatorischen Anforderungen auch ein transparentes Reportingsystem für die Klimawirkung der eigenen Investments aufbaut, sichert seine Assets gegen einen Wertverlust in der Zukunft ab.

„Temperature Alignment“ hat großes Potenzial sich langfristig als Standardwährung für den Klimaaspekt innerhalb des ESG-Rahmens durchzusetzen. Auch eine internationalisierte Zertifizierung von Unternehmen und Investments, beispielweise im Rahmen des SCC-Zertifikats, ist wahrscheinlich. Alle Marktteilnehmer sollten sich deshalb frühzeitig darauf einstellen, um ihren Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel zu leisten und ihre Investments langfristig abzusichern.

 

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Die Autorin
Hannah Helmke
Gründerin und Geschäftsführerin
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