Der Autor
Sebastian BeckAssociate Partner, Drees & Sommer SE
Wer kennt es nicht? Auf der einen Seite völlig überlastete S-Bahnen, Wartezeiten und schlechte Atemluft, auf der anderen Seite verstopfte Straßen, Staus und jede Menge Stress. Wer in einer Großstadt lebt, hat die Qual der Wahl – öffentliche Verkehrsmittel oder doch lieber das Auto? Wirklich zufriedenstellend ist oftmals aber keine der beiden Auswahlmöglichkeiten. Alternativen? Fehlanzeige! Der Bau von weiteren U-Bahnen ist zu teuer und neue Straßen sind infrastrukturell weitestgehend ausgeschlossen. Ein Lösungsansatz, der all diese Probleme im Nu wortwörtlich überflügeln könnte, wäre ein urbanes Seilbahnsystem. Wie angenehm wäre wohl eine gemütliche Fahrt in einer Gondel, inklusive Panoramablick über die Stadt bis hin zum Waldrand.
Um genau diese Gegebenheiten zu prüfen, ist das Stuttgarter Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer gemeinsam mit dem Verkehrswissenschaftlichen Institut Stuttgart GmbH (VWI) vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) damit beauftragt worden, einen Leitfaden für urbane Seilbahnen zu entwickeln. Ziel ist eine Übersicht zur „Realisierung von Seilbahnen als Bestandteil des ÖPNV“, die in zwei Jahren vorliegen soll. Ursprung des Vorhabens war eine Gesetzesänderung Anfang 2020, als Seilbahnen zum förderungsfähigen Teil des ÖPNV erklärt wurden.
Die Vorteile einer urbanen Seilbahn liegen auf der Hand: Ein Seilbahnsystem erfordert für den Bau nicht nur wenig Bodenfläche, was gerade in dichtbesiedelten Städten mit hohem Verkehrsaufkommen von großem Vorteil wäre, sondern wäre im Vergleich zu U- oder S-Bahnen auch verhältnismäßig günstig und baulich schnell realisierbar. Seilbahnanlagen können – je nach gewählter Bauweise – in einem vergleichsweise kurzen Realisierungszeitraum von circa neun bis fünfzehn Monaten und zugleich geringem infrastrukturellen Aufwand errichtet werden können. Es ist lediglich der Bau der Stationen, der Stützen sowie die technische Montage notwendig.
Den größten Pluspunkt jedoch haben Seilbahnen zweifellos hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit: Staus, Luftverschmutzung und Verkehrslärm zwingen Städte zur Reduktion bestehender Belastungen. Die Gondeln nutzen den Luftraum weitestgehend unabhängig vom übrigen Verkehr, sind technisch ausgereift und erzeugen vor Ort kaum Emissionen. Vor allem aber sind sie leise, sicher und leistungsfähig. Zwar lassen sich die ökologischen Eigenschaften von Seilbahnen nur schwer pauschalisieren, da sie stets im Kontext der lokalen Gegebenheiten und Anforderungen untersucht werden müssen, nichtsdestotrotz ist bereits wissenschaftlich belegt worden, dass Seilbahnen selbst bei einer hohen Förderleistung einen verhältnismäßig sehr geringen Energiebedarf aufweisen. Da sie zudem mit elektrischem Strom betrieben werden, ist der CO2-Ausstoß einer Seilbahn um ein Vielfaches geringer als bei anderen Verkehrsträgern.
Aber auch für die Stadtplanung und -entwicklung würde ein urbanes Seilbahnsystem enorme Möglichkeiten mit sich bringen: Lebensräume am Boden könnten dadurch völlig neu gedacht und nachhaltig sowie enkelfähig entwickelt werden. Doch das ist nicht alles: Grünzüge statt Betonwüsten, Kinderlachen statt Motorengeräusche und ganz neue Nutzungsmuster, die Fahrbahnen zu Flaniermeilen verwandeln und somit den ökologischen Fußabdruck einer Stadt deutlich reduzieren. Darüber hinaus bestünde die Chance, entlegene – oder gegebenenfalls auch topografisch anspruchsvolle – Gebiete attraktiver zu gestalten und so die Stadtentwicklung zu forcieren.
Sogar die Argumente der Kritiker, die sich auf Datenschutz und Privatsphäre berufen, weil Gondeln über private Grundstücke hinweg schweben könnten, ließen sich dank moderner Technik regelrecht in Luft auflösen. Denn das sogenannte „Privacy Glass“ könnte die Scheiben während der Fahrt zeitweilig verdunkeln, um die Einsicht auf Privatgrundstücke zu schützen.
Doch damit das vermeintlich so abwegige, futuristische Verkehrsmittel Seilbahn aufgrund mangelnder Vorstellungskraft nicht schon vorab in den Köpfen der Bürger scheitert, ist ein transparenter Prozess das A und O. Das kann nur gelingen, wenn die Bevölkerung in dieser Thematik von Beginn an „mitgenommen“ wird. Sprich, nur wer den Dialog sucht und offensiv kommuniziert, kann auch die Bedenken der Menschen berücksichtigen und ausräumen.