Der Autor
Jirka StachenDirector und Teamleader Research bei CBRE,
Lange Zeit herrschte in den Städten das Paradigma der Charta von Athen mit einer Trennung von Wohnen, Arbeiten und Versorgen. Gemäß der Devise „Hier die Wohnviertel, dort die Büro- und Gewerbezonen“ entstanden Städte, die wenig integriert und stark segregiert sind. Auch verkehrstechnisch ist das keineswegs ideal.
Die aktuellen Herausforderungen der zunehmenden Urbanisierung einerseits sowie des demografischen, klimatischen und digitalen Wandels andererseits schaffen die Notwendigkeit für ein Umdenken in der Stadtplanung. Die Erfordernisse kürzerer Wege, einer Eindämmung des Autoverkehrs ebenso wie des Abbildens neuer digitaler Möglichkeiten, die Leben und Arbeiten gleichermaßen betreffen, liefern bereits einige wesentliche Erklärungen für das Erfolgsmodell des urbanen Quartiers.
Ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht
Seit einigen Jahren fokussieren sich auch institutionelle Investoren immer stärker auf das Quartier als Assetklasse. So flossen 2019 rund neun Milliarden Euro in Projekte und Objekte, die als „Quartier oder Viertel“ bezeichnet wurden, achtmal so viel wie im Jahr 2013. Und selbst im Pandemiejahr 2020 war das Volumen mit mehr als fünf Milliarden Euro überdurchschnittlich. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht – selbst wenn vorübergehend ein pandemiebedingter Rückgang des Transaktionsvolumens zu verzeichnen ist.
Was aber zeichnet ein Quartier im Detail aus? Welche Chancen bietet es?
Eine Zauberformel gibt es nicht, aber verlässliche Bewertungsgrößen
Die wahrscheinlich wichtigste Eigenschaft der Quartiere besteht in ihrer Multidimensionalität. Das bedeutet, der Mix macht es – oder genauer: der Nutzungsmix als gemeinsames Leitbild aller Quartiersdefinitionen. Er zielt auf die Mischung der klassischen Nutzungen von Büro, Einzelhandel, Gewerbe und Wohnen bei gleichzeitiger Verknüpfung mit sozialen Komponenten und öffentlichen Begegnungsmöglichkeiten für Freizeit, Bildung und Kultur ab.
Eine „Zauberformel“ für den perfekten Mix eines Quartiers gibt es zwar nicht, aber dennoch lassen sich für die Bewertung erfolgreicher Quartiere durchaus verlässliche Parameter zu Hilfe nehmen. Diese bestehen insbesondere in den fünf wesentlichen Kategorien Urban Needs / Urban Mix, Infrastruktur, Identität, Konnektivität und Built Environment.
Welche Fragen berühren diese Kategorien in der Praxis der Quartiere? Dass der Erfolg eines Quartiers grundsätzlich mit der Akzeptanz der Menschen, die dort leben und arbeiten, steht oder fällt, liegt auf der Hand. Dementsprechend drängt sich als Ausgangspunkt jeder Quartiersanalyse zunächst die Frage nach den Bedürfnissen der Bewohner und Nutzer auf. Gerade die Aufenthaltsqualität bildet hierbei einen wichtigen Erfolgsindikator. Beispielsweise in Form begrünter Flächen, eines Zugangs für die Öffentlichkeit und der Belebung im Quartier, die hieraus resultiert. Auch das Sicherheitsgefühl der Nutzer sollte bei der Konzeption von Aufenthaltsorten innerhalb des Quartiers im Fokus stehen.
Entscheidend: der Faktor Mensch
Zugleich stellt eine gute Infrastruktur die Basis für die Erreichbarkeit und somit auch für die Akzeptanz eines Quartiers im Stadtgefüge dar. Ausgebaute Straßenverläufe, ein gut erreichbarer und hochfrequentierter ÖPNV, Parkmöglichkeiten für alle Fahrzeugtypen sowie das Angebot von Shared Mobility zählen hierbei zu den maßgeblichen Erfolgskriterien. Essenziell sind außerdem kurze Wege innerhalb des Quartiers mit entsprechendem Fußgänger- und Radwegenetz sowie die Anbindung an die angrenzenden Stadträume. Eine erfolgreiche Infrastruktur schließt jedoch auch die Verkehrsvermeidung ein. Auf diese Weise können lokale Angebote dazu beitragen, dass zusätzliche Fahrten vermieden werden.
Entscheidend ist jedoch auch an dieser Stelle der „Faktor Mensch“. Nur wenn sich Bewohner und Nutzer mit ihrem Quartier tatsächlich identifizieren, werden sie sich langfristig dort einbringen und das Quartier mit Leben füllen. Somit trägt die Kategorie Identität wesentlich dazu bei, dass sich Nutzer in „ihrem“ Quartier wohlfühlen. Dies gilt besonders für Neuentwicklungen von Quartieren, die zunächst ihren eigenen Charakter entwickeln müssen. Neben einer offen gestalteten Architektur spielt vornehmlich der Austausch der Nutzer untereinander eine wesentliche Rolle.
Partizipation – frühzeitig die Akzeptanz der Mieter und Nutzer sichern
Gemeinsame Interaktion und Partizipation der Nutzer sollten jedoch frühzeitig, idealerweise bereits in der Phase der Quartierserstellung, beginnen. Etwa auf Ebene klassischer Beteiligungsverfahren in der Bauplanung, beispielsweise unterstützt durch eine Community-App oder flankierende Angebote in den sozialen Medien. So lässt sich von Anfang an die gesellschaftliche Akzeptanz der verschiedenen Akteursgruppen in der Quartiersplanung sichern – und zugleich eine gelungene Konnektivität, die freilich mit der Planungsphase keineswegs endet. Auch im Rahmen eines nutzerorientierten Quartiersmanagements, etwa bei der Bewirtschaftung des Quartiers oder auch auf Ebene einer aktiven Vernetzung der Nutzer, Bewohner sowie der breiten Öffentlichkeit spielt eine wirksame Verknüpfung des Quartiers mit der Umgebung eine dauerhafte, zentrale Rolle.
Das Image und die Identität des Quartiers lassen sich zudem auch wesentlich durch die bauliche Struktur positiv beeinflussen. Unter dem Cluster Built Environment werden Faktoren wie etwa das Design, die Anordnung der Gebäude und Freiflächen sowie die Flexibilität des Quartierlayouts zusammengefasst. Dabei lässt sich insbesondere auf die zahlreichen technischen Neuerungen aus dem Bereich Smart Building zur Unterstützung zurückgreifen. Somit steigt die Akzeptanz bei Nutzern und Bewohnern – und zugleich auch die Attraktivität für Investoren.
Effiziente Mischung aus physischen und digitalen Plattformen
Wie sich dies konkret in der Praxis abbilden lässt, zeigt etwa das Projektbeispiel der Covivio Office Holding GmbH am Berliner Alexanderplatz. Das dort neu entstehende Quartier wird eine Community-Area mit knapp 1.000 Quadratmetern umfassen. Dieses Herzstück des Projekts soll um den rund 2.500 Quadratmeter großen Outdoorbereich mit Flächen für gemeinsames Arbeiten und Treffen, Bereiche der Ruhe sowie für Gastronomie, Sport und Events ergänzt werden.
Ziel dieses gemischt genutzten Vertikalen Quartier ist es, die Öffentlichkeit einerseits sowie Mieter und Nutzer des Quartiers andererseits in einem aktiven Netzwerk zusammenzubringen.
Für die Lösung der Frage, wie sich eine konsequente Vernetzung und Ergänzung optimal gestalten lassen, setzt das Quartier auf digitale und physische Plattformen, die der Öffentlichkeit und den Mietern als Plattform für ein aktives Netzwerk dienen. Zentral, und auch für die Stadt Berlin wichtig, ist außerdem das Ziel, den Alexanderplatz durch die Schaffung eines gastronomischen Angebots für alle Nutzer auch die Außenflächen attraktiv zu gestalten und damit positiv zur Aufenthaltsqualität am „Alex“ beizutragen.
Eine Entwicklung ist nie zu Ende
Zugleich fügt sich das Projekt nahtlos in die bestehende Struktur des Alexanderplatzes. Das Covivio-Projekt bietet im Zusammenspiel mit weiteren geplanten Hochhäusern rund um das bereits existierende „Park Inn“-Hotel die Basis für den neu geschaffenen Büroteilmarkt „Alexanderplatz“ als wiedererstarkte Mitte Berlins mit bester Infrastruktur. Dazu gehören auch Ruhezonen und Rückzugsorte sowie wie Gemeinschaftsflächen, die den Alexanderplatz für alle Nutzergruppen zugänglich machen sollen.
Zugleich steht die Schaffung einer eigenen Identität bereits in der frühen Phase der Entwicklung im Fokus des Projekts. Dabei steuern die Nutzer ihre Wünsche, Ideen und Anforderungen – und somit auch ihre Vision für die Zukunft – zur gemeinsamen Entwicklung des Quartierscharakters bei.
Mit Blick auf zu entwickelnde Verkehrs- und Mobilitätskonzepte muss das Rad hingegen nicht völlig neu erfunden werden, bringt doch der Alexanderplatz mit 360.000 Menschen, die dort täglich den ÖPNV nutzen, bereits ein gut funktionierendes Mobilitätskonzept inklusive Shuttleverbindung zum Flughafen BER mit. Das Angebot lässt sich abschließend mit individuellen Serviceleistungen ergänzen, etwa mit der Bereitstellung von Flächen für E-Bikes, Fahrräder und E-Scooter in einem der Untergeschosse.
Nur auf eine Frage liefert auch das beste Quartierskonzept keine Antwort: auf jene nach der exakten Dauer einer abschließenden und erfolgreichen Quartiersentwicklung. Auch wenn die genannten Kategorien sicherlich hilfreich bei der Bewertung sind, bleibt zugleich etwas anderes Fakt: Quartiere gleichen in mancher Hinsicht den Menschen, die sich in ihnen aufhalten. Sie stellen lebendige Systeme dar, deren Entwicklung ein kontinuierlicher und manchmal auch langwieriger Prozess ist.