ESG-Kriterien wandeln sich vom Randthema zum entscheidenden Erfolgsfaktor

Warum Nachhaltigkeit ein strategischer Erfolgsfaktor ist

In der Immobilienwirtschaft waren Nachhaltigkeitskriterien lange Zeit eher ein Randthema: „Nice to have“ und von vielen Marktakteuren durchaus ernst-, aber nicht als entscheidender Erfolgsfaktor wahrgenommen. Diese Auffassung hat sich gründlich geändert.

Jens Böhnlein 30. August 2021
ESG - Nachhaltigkeit ein strategischer Erfolgsfaktor
Quelle: HD

Verantwortlich dafür ist nicht allein der Gesetzgeber. Damit rückt das Thema aus der Nische ins Rampenlicht – und wird zum strategisch wichtigen Entscheidungskriterium.

Nachhaltige (oder als solche deklarierte) Investmentstrategien nahmen lange Zeit einen etwas exotischen Nischenplatz ein. Nicht wenige Investoren bezweifelten, dass sich damit überhaupt wettbewerbsfähige Renditen erwirtschaften ließen. Diese Zeiten sind endgültig vorbei: Nachhaltigkeit – gemeint ist in erster Linie ESG-Konformität (Environment, Social, Governance) – ist auch ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor. Das ist in der Immobilienbranche angekommen: Erst kürzlich hat sich EY („ESG-Snapshot“) unter Immobilienfondsmanagern umgehört: 81 Prozent erwarten, dass Investoren künftig überwiegend in nachhaltige Anlageprodukte investieren werden – eine Einschätzung, die wir teilen. Nachhaltigkeit wird somit zum Querschnittsthema, mit dem sich ein Unternehmen auf allen Ebenen befassen muss.

Doch wie kommt es zu diesem Bewusstseinswandel? Eine naheliegende Antwort wären die vielfältigen regulatorischen Aktivitäten in Europa und andernorts. Mit ihrem „Sustainable Finance Action Plan“ hat sich beispielsweise die Europäische Kommission viel vorgenommen. Die jüngsten konkreten Schritte sind die seit 10. März anzuwendende Offenlegungsverordnung sowie die in zwei Schritten 2022 und 2023 einzuführende Taxonomie-Verordnung. Doch diese Verordnungen zwingen keinen einzigen Investor unmittelbar zu nachhaltigem Investieren. Ziel ist es „lediglich“, mit verbindlichen Definitionen mehr Transparenz zu schaffen – „lediglich“ in Anführungszeichen, da Transparenz die Voraussetzung für Vertrauen und damit für das wichtigste Gut in unserer Branche ist. Und auf diesem Transparenzwege sollen Investoren wie Produktanbieter eher indirekt zu mehr Nachhaltigkeit animiert werden. Dieser sanfte Zwang ist auch genau der richtige Weg.

Doch damit dies auch funktioniert, ist ein Konsens bei einem hinreichend großen Anteil aller Marktteilnehmer in ihrem wechselseitigen Beziehungsgeflecht notwendig. An einem bestimmten Punkt wird eine Kettenreaktion ausgelöst, und nach meiner Beobachtung haben wir diesen Punkt jetzt überschritten. Die Regulierung hat die Aufgabe, diese Kettenreaktion in kontrollierte Bahnen zu lenken und die wichtigsten Voraussetzungen – Transparenz und Vertrauen – dauerhaft herzustellen.

Hierzu kann die Branche selbst übrigens auch einen Beitrag leisten, wie das Beispiel „ECORE – ESG Circle of Real Estate“ zeigt, dem sich auch die Commerz Real angeschlossen hat. Mit ihrem ESG-Scoring kann die Initiative dabei helfen, ein gemeinsames Verständnis zu ESG-Vorgaben und Datenmanagement im Immobiliensektor zu schaffen. Und nicht zu vergessen: Auch die Bepreisung von CO2-Emissionen dürfte steuernde Auswirkungen auf die Märkte haben.

Doch der Auslöser dieser Kettenreaktion ist nicht die Regulierung selbst, sondern die wechselseitige Überzeugung aller Marktteilnehmer und (potenziellen) Geschäftspartner, dass das jeweilige Gegenüber nicht-nachhaltige Investments schon jetzt wesentlich geringer schätzt und sie in Zukunft für einige Investoren gar nicht mehr investier-, handel- oder (ver)mietbar sind. Es zeichnet sich ab, dass gerade nachhaltige Immobilien langfristig wettbewerbsfähiger sind und sein werden.

Um dies am Beispiel von Büroimmobilieninvestments anschaulich zu machen: Langfristig orientierte Investoren zweifeln an der zukünftigen Wertstabilität von Büroimmobilien, die bestimmte Nachhaltigkeitskriterien nicht erfüllen. Doch bei zweifelhaften Exitperspektiven sehen viele Investoren schon jetzt von einem Investment ab – das Kriterium ist also nicht erst in Zukunft entscheidend, ein klarer Fall von Self-fulfilling Prophecy.

Gleichzeitig achten zahlungskräftige Büromieter, die sich selbst als nachhaltige Unternehmen positionieren, auch auf eine entsprechende Eignung ihrer Büroflächen. Nachhaltige Büroobjekte sind deshalb gerade für bonitätsstarke und auf Nachhaltigkeit fokussierte Mieter ein echtes Unterscheidungsmerkmal und sichern gleichzeitig die langfristige Wettbewerbsfähigkeit. Vor allem reglementierte Kapitalanlageprodukte kommen somit nicht mehr am Thema Nachhaltigkeit bei der Portfolioallokation vorbei.

ESG-Konformität wird somit zu einer definitorischen Bedingung für eine Core-Immobilie. Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich Wohnen: Wie lässt sich zum Beispiel soziale Nachhaltigkeit in einem Umfeld zum Teil sehr stark steigender Mieten und öffentlicher Debatten um Gentrifizierung realisieren? Der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum kommt hierbei eine Schlüsselstellung zu – und kann durchaus auch wirtschaftliche Perspektiven bieten, vor allem auch für langfristig orientierte Produkte. Solche und ähnliche Überlegungen gibt praktisch es für alle Nutzungsarten.

Nachhaltigkeit, oder konkret ESG-Konformität, ist also ein zentraler Faktor – gerade auch für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg. Das gilt nicht nur auf Objektebene, sondern in ähnlicher Weise für sämtliche Ebenen der professionellen Immobilienwirtschaft. Auch die Strategie sowie das Agieren eines Assetmanagers und nachgelagerter Dienstleister müssen Nachhaltigkeitsansprüchen genügen. Gerade auf diesen Ebenen kommen neben dem Umwelt- und Klimaschutz (E) auch den beiden anderen ESG-Faktoren, also Soziale (S) und Governance-Kriterien (G), besondere Bedeutung zu.

Nachhaltigkeit ist somit kein Randthema mehr, dem mit einem nachgelagerten ESG-Beauftragten und der Bestellung von Recycling-Druckerpapier genüge getan wäre. Sondern es ist langfristig eine wirtschaftliche Existenzfrage, die in allen Entscheidungsgremien strategisch immer mit bedacht werden muss. Waren früher die Motive für nachhaltiges Handeln intrinsischer oder altruistischer, seltener auch wirtschaftlicher oder regulatorischer Natur, so sind es jetzt alle diese Motive gleichzeitig, die ineinandergreifen und aus der Nischen- eine Entscheidungsfrage machen.

 

Der Autor
Jens Böhnlein
Global Head of Asset Management, Commerz Real

Das Event zum Thema

Freitag, 1.Oktober.2021
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