Herausforderungen für technologieoffene Ausschreibungen

Skalierbare Ladeinfrastruktur für Tagesparker

Wie gelingt es Ausschreibungen für Ladeinfrastruktur technologieoffen zu formulieren, so dass Anbieter von klassischen Wallboxen oder Ladesäulen und Anbieter von zentralisierten Ladesystemen gleichermaßen berücksichtigt werden können?

Nicole Heinrich 27. August 2021

Wie schnell sich E-Mobilität durchsetzen wird hängt von vielen Faktoren ab. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die ausreichende Verfügbarkeit von Ladepunkten, speziell auch für Autofahrer, die zur Miete wohnen. Studien zeigen, dass das Laden zu mehr als 70 % zuhause oder beim Arbeitgeber erfolgt. Für den typischen Pendler ist Schnellladung nicht nötig. Ein mehrstündiges Laden mit geringer Leistung reicht für das Nachladen der täglichen Pendlerstrecke von durchschnittlich 50 km aus, da Fahrzeuge in der Regel 23 Stunden am Tag stehen. Laden an Orten, an denen Fahrzeuge lange stehen, ist daher eine sinnvolle und notwendige Ergänzung zu Schnellladepunkten und zu Ladepunkten im Eigenheim. E-Fahrzeuge sollten vorzugsweise immerwährend des Parkens geladen werden – beim Arbeitgeber, am Park&Ride Parkplatz, am Flughafen oder im Logistikhub. Das bedeutet, Ladepunkte müssen an den Orten anwendungsbezogen und sinnvoll geschaffen werden, wo Fahrzeuge oft und lange stehen.

Basierend auf den unterschiedlichen Anwendungsbereichen und den typischen Ladenszenarien im privaten und öffentlichen Sektor lassen sich die notwendige Ladeleistung je Anwendung bzw. je Ladeszenario ableiten. Gerade bei langen Standzeiten von Fahrzeugen und an Orten, an denen viele Fahrzeuge gleichzeitig geladen werden müssen, reichen in der Regel geringe und intelligente gesteuerte Ladeleistungen aus. Hohe Ladeleistungen würde die Kosten in eine Netzanschlusserweiterung, die Stromkosten für Spitzenleistung und Netzentgelte sowie die Langlebigkeit der Fahrzeugbatterie negativ beeinflussen. Eine Ladelösung mit vielen Ladeanschlüssen kann realisiert werden, indem viele Wallboxen und Ladestationen in Reihe geschaltet werden. Dies erfolgt in der Regel durch sogenannte Master-Slave-Systeme.

Eine dieser in Reihe geschaltenen Wallboxen, eine der Ladestationen oder ein vorgeschaltete Management-Einheit übernimmt dann die Steuerung und die Kommunikation mit dem Netzanschluss. Um alle Wallboxen in Reihe zu schalten werden entweder Stromschienen genutzt oder Unterverteiler aufgebaut, die die Kupferkabel zwischen Wallbox oder Ladestation mit dem Netzübergabepunkt verbinden. In zentralisierten Ladeinfrastruktursystemen, in denen die Elektronik in einem Schaltschrank zusammengefasst wird, kann auf einen standortindividuelle Unterverteilung verzichtet werden. Der Schaltschrank selbst stellt dann die Steuer- und Kommunikationseinheit zum Netzübergabepunkt dar. In einem solchen System sind am Stellplatz nur Ladestecker oder Dosen vorgesehen, aber keine Ladeelektronik. Damit ergeben sich auch Wartungsvorteile in Bezug auf Kosten und Zeitaufwand.

Um in Ausschreibungen nun allen Ladeinfrastrukturkonzepten technologieoffen gerecht zu werden sollte in der Ausgestaltung und Formulierung auf folgende Sachverhalte Rücksicht genommen werden:

  1.  Die Wortwahl Wallbox und Ladestation sollte durch den Begriff Ladepunkt verallgemeinert werden.
  2. Die Ladeleistung sollte anwendungsfallbezogen ausgeschrieben werden. Die geforderte Ladeleistungen sollen sich an dem geplanten Einsatzzweck orientieren. Das bedeutet, dass nicht an jedem Parkplatz eine Ladepunkt mit einer verfügbaren Leistung von genau 11 oder 22kW verfügbar sein muss. Im privaten Laden, mit langen Standzeiten sind geringe Ladeleistungen mit <11kW meist ausreichend. Hohe Ladeleistungen haben für bestimmte Anwendungsbereiche ebenfalls ihre Berechtigung. An allen Orten hohe Ladeleistungen zu fordern, geht am Bedarf vorbei und sorgt beim Lastmanagement und bei der Stromkostenoptimierung für Probleme. Insbesondere das Lastmanagement legt dynamisch steuerbare Ladeleistungen zugrunde, die eine Ausschreibung berücksichtigen sollte.
  3. Die Vorrüstung von Ausbaustufen sollten in Ausschreibungen beachtet werden. Das Legen von Leerrohren und der Ausbau eines zukünftigen Kabelweges muss geplant und umgesetzt werden und ist teilweise durch Vorgaben und Regularien (z.B. GEIG im Neubau) gesetzlich gefordert.
  4. Die Ausschreibung sollte immer die Gesamtkosten betrachten. Ladeinfrastruktur bezieht sich nicht nur auf die Hardware und die Installation, sondern auch auf begleitende Dienstleistungen wie die Wartung, Abrechnung, den Service und Support. Auch Dashboards zur Steuerung oder Softwarefunktionalitäten sollten Teil der Ausschreibung sein, so dass Anbieter ihre Lösungen nicht lösgelöst von zukünftigen Dienstleistungsbedarfen anbieten.
  5. Die Forderung von Steckdosen an Ladepunkten, die sich durch die Ladesäulenverordnung (LSV) begründet, sollte hinterfragt werden. Die Typ 2 Steckdosen sind nach der aktuellen LSV für öffentlich zugängliche Ladepunkte vorgeschrieben. Fallen Ladepunkte nicht unter die LSV, ist die Dose nicht gefordert, das heißt im privaten Bereich waren und sind Ladestecker ebenso zulässig. Die neues LSV, die zum Herbst 2021 erwartet wird, erlaubt den fest angeschlagene Ladestecker. Ein festangeschlagenes Kabel bietet einen erheblichen Komfortgewinn für Nutzende.
  6. Auf die Forderung von bestimmten Bezahlsystemen sollte in der Ausschreibung verzichtet werden. Die Bezahlung per RFID Karte wird oft gefordert, obwohl sie durch fehlende Verschlüsselung anfällig für Manipulation ist. Andere Lösungen wie die Freischaltung per Smartphone App sind meist nicht nur komfortabler, sondern auch in der Anschaffung kostengünstiger.
  7. Die Forderung nach Erfüllung bestimmter Normen wie z.B. der ISO15118 gilt es zu hinterfragen. Wenn die Marktsituation betrachtet wird, dann zeigt sich, dass außer dem Ladecontroller eines Herstellers, noch kein Controller nach ISO15118 kommunizieren kann. Die zukünftig mit der ISO15118 einhergehenden Technologien haben großes Potenzial. Allerdings fehlen hierzu noch (steuerrechtliche) Regulierungen sowie Fahrzeuge, die diese Technologie unterstützen.

In Summe gilt, dass Ausschreibungen für Ladeinfrastruktur so weit wie möglich technologieoffen ausgeschrieben werden sollen. Wichtig dabei ist, den Bedarf und Anwendungsfall im Blick zu behalten, denn insbesondere im privaten Bereich zuhause und beim Arbeitgeber gilt: geladen werden sollte so schnell wie nötig und nicht so schnell wie möglich.

Die Autorin
MSc Nicole Heinrich
Vertrieb und Marketing, chargeBIG c/o MAHLE GmbH

Das Event zum Thema

Donnerstag, 23. September - Freitag, 24. September 2021
3. Mobilitätsgipfel 2021
Düsseldorf