Der Autor
Dr. Peter MöslePartner bei Drees & Sommer, Geschäftsführer der EPEA GmbH – Part of Drees & Sommer,
Deutschland gehört zu Top 5 Ländern, was den Verbrauch von Ressourcen angeht. Daher wundert es auch kaum, dass der deutsche Earth Overshoot Day in den letzten Jahren bereits auf den Monat Mai fiel. Mit diesem sogenannten Erdüberlastungstag wird der Zeitpunkt markiert, an dem das jährliche Ressourcen-Budget ausgeschöpft und somit alle natürlichen Ressourcen für das Jahr aufgebraucht werden. Bedenkt man nun, dass die Bau- und Immobilienwirtschaft in Deutschland rund 90 % der geförderten mineralischen Rohstoffe verbaut, so wird das gewaltige Potenzial, das hier steckt, mehr als deutlich. Umso erfreulicher ist es, dass mit dem EU Green Deal und den Rahmenwerken wie ESG und EU Taxonomy das Thema Circular Economy endlich einen ganz neuen und vor allem verdienten Stellenwert erhält. Damit kommt auch mehr Tempo in das bisher eher langsam vorangeschrittene Umdenken vom linearen Effizienzpfad hin zu einer Circular Economy – und das sogar schneller als erwartet. So wächst auch das Bewusstsein der Bau- und Immobilienakteure für die Bedeutung und Vorteile eine konsequente Kreislaufwirtschaft vom Tag zu Tag weiter. Vielmehr noch: Es zeichnet sich hier eine deutliche Entwicklung in Richtung Circular Real Estate, also eine kreislauffähige Immobilienwirtschaft, ab.
Der Markt für kreislauffähige Produkte wächst
Fest steht: Um zirkuläres Bauen zu etablieren und von einzelnen Leuchtturm-Projekten zu einem flächendeckenden Einsatz zu kommen, braucht es schadstofffreie, trennbare und vollständig recycelbare Produkte. Ein Konzept, das dabei branchenübergreifend immer mehr Zuspruch findet, ist Cradle to Cradle, kurz C2C. Auch wenn es noch Luft nach oben gibt, so lässt sich dennoch feststellen, dass immer mehr Hersteller auf C2C-zertifizierte Bauprodukte setzen bzw. ihre Produkte in dieser Hinsicht optimieren. So ist die Anzahl der Bauprodukte, die dem Cradle to Cradle-Prinzip entsprechen, in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Newcomer in diesem Bereich sind zum Beispiel Firmen wie die GROHE AG, Hersteller von Armaturen und Sanitärprodukten, oder der Anbieter von Befestigungs- und Montagetechnik WÜRTH. Das zeigt, dass Cradle to Cradle als kreislauffähiges Prinzip und Grundlage für die Circular Economy kein Nischenthema mehr ist, sondern ein in der Branche bereits etabliertes Konzept.
Gebäude werden zu Rohstoffdepots
Doch nicht nur für Hersteller ist das C2C-Konzept zukunftsweisend. Auch für Investoren, Projektentwickler und Bauherren stellt Cradle to Cradle eine große Innovationschance dar. Denn es bietet neben der Klima- und Ressourcenschonung und der Erfüllung von EU-Anforderungen auch einen klaren betriebswirtschaftlichen Nutzen. So haben die Berechnungen von Drees & Sommer und TS Advisory ergeben, dass Cradle to Cradle eine Wertsteigerung von bis zu zehn Prozent in Relation zu konventionellen Gebäuden ermöglichen kann. Denn das für die Baustoffe gebundene Kapital geht nicht vollends verloren wie heute üblich, sondern wird ähnlich einer mittel- bis langfristigen Wertanlage wieder mit der Wiederverwertung freigegeben. Die Immobilie wird damit zum Rohstoffdepot, dessen Wert in Zeiten einer sich verschärfenden Rohstoffknappheit zudem kontinuierlich steigen kann.
Madaster – ein digitales Materialkataster für Circular Real Estate
Einen großen Schub zur Etablierung von Circular Economy gibt auch die vor Kurzem hierzulande gegründete Plattform Madaster. Als digitales Materialkataster für das Branchen-Ökosystem Circular Real Estate bietet Madaster Deutschland Lösungen für die dringenden Fragen der Ressourcenverwendung in einer echten Kreislaufwirtschaft. Denn die Plattform stellt nicht nur Informationen über die Herkunft und Qualität von Bauprodukten zur Verfügung, sondern bietet auch eine Grundlage für die Ermittlung von material- und gebäudespezifischen Kennzahlen. Rohstoffwerte werden dadurch transparent und die Immobilien zu wahren Rohstoffdepots.
Kurzum: Zirkuläre Konzepte wie Cradle to Cradle in Kombination mit digitalen Plattformen und Tools wie Madaster werden eine kreislauffähige Immobilienwirtschaft zur Realität werden lassen.
Wichtig ist: Eine echte Kreislaufwirtschaft beginnt mit dem richtigen Mindset und betrifft nicht nur Produkte, sondern auch unternehmensinterne und -externe Prozesse und damit ganze Ökosysteme.