21.09.2020
Bernhard Franken

Die Geschichte des Modulbaus

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Seit dem Beginn der industriellen Revolution im 18. und 19. Jahrhundert wurden Bauelemente seriell hergestellt und modular eingesetzt.

Gusseiserne Teile aus Stahl wurden als Stützen und Träger im Tragwerk verwendet. Formal orientierten sich diese an klassischen Säulen mit Fuß, Schaft und Kapitel und wurden mit Ornamenten überformt. Fensterlaibungen aus Naturstein und Zierelemente für die Fassade konnte man aus dem Katalog bestellen. Diese waren handwerklichen Steinmetzarbeiten der Gotik, des Barocks oder der Renaissance nachempfunden. Generell leugneten die industriellen Produkte ihre Herstellungsweise, das Serielle galt als billig und minderwertig gegenüber dem handwerklich Gefertigten. Die Lehre an den Hochschulen spaltete sich auf in die École des beaux-arts für die Architekten, die für die schöne Oberfläche von Gebäuden zuständig waren und die École polytechnique für die Bauingenieure, die sich um die Konstruktion kümmerten. Durch die industrielle Revolution entstanden neue Typologien wie Bahnhöfe, die vorne wie Renaissance-Paläste und hinten wie kühne Tragwerkskonstruktionen aussahen. Letztere waren die weitaus innovativeren Bauwerke. Die Architekten aber rümpften die Nase über die Bauingenieure, denen man unmöglich die Fassaden zur Stadt überlassen durfte.

Erst die klassische Moderne der 20er und 30er Jahre fand einen Gestaltungsausdruck für das Industriezeitalter, die sich von der handwerklichen Produktion durch den Einsatz von Stahl und Stahlbeton als Tragwerk und Glas, Aluminium- und Stahlblech in vorgehängten Fassaden unterschied. Das industrielle Paradigma besteht aus serieller Fertigung in Standard, Gleichteilen und Wiederholung. In den Halbzeugen für die Bauindustrie hatten diese schon ihren Niederschlag gefunden. Doch die Fertigungsmöglichkeiten auf der Baustelle zurzeit der klassischen Moderne unterschied sich kaum von der handwerklichen Produktionsweise der Vergangenheit. Immer noch wurde Stein auf Stein gemauert, fertige Wände wieder aufgeschlitzt, um Leitungen zu verlegen und zu guter Letzt alles mit Putz überzogen, um die Assemblage darunter zu egalisieren. Das "Neue Bauen" war also eine neue Form der Gestaltung und nicht des neuen Bauens. Die Ikonen der Moderne wie die Weißenhofsiedlung sahen aus, wie industriell gefertigt und waren in Wirklichkeit rein handwerklich hergestellte Unikate. Kein Wunder, das schon die Protagonisten der klassischen Moderne von serieller Vorfertigung in der Fabrik unter gleichbleibenden klimatischen Bedingungen, gesicherte Lieferketten für Rohmaterial und Halbzeug, ständig verfügbaren Hebewerkzeugen und mit qualifiziertem Personal träumten. Dadurch sollte das qualitätsvolle und preisgünstige Bauen für die Massen realisiert werden. 1926 entwickelte Ernst May in Frankfurt ein natürliches Material aus Bims und Kies und wendete die damit hergestellten Bauplatten zum ersten Mal in der Siedlung Praunheim bei zehn Versuchshäusern an. Mit den im Osthafen in einer Fabrik gefertigten Platten konnte man in wenigen Tagen in Tafelbauweise ein Haus bauen. Nach den zehn Versuchshäuser wurden im "Frankfurter Montageverfahren" in Praunheim bis 1929 1.441 Mietwohnungen gebaut.

In der Nachkriegszeit wurde das serielle Bauen in großem Stil in Ost und West eingeführt, um auf Wohnungsnot und sanierungsbedürftige Altstädte zu reagieren. Die Avantgarde der Architektur beschäftigte sich mit einem formalen Ausdruck für das serielle Bauen. Die Flugzeug- und Raumfahrtindustrie mit koppelbaren Modulen und sichtbarer Technik wurde zum ästhetischen Vorbild.

Doch die in Plattenbau gefertigten Trabantensiedlungen entwickelten sich von utopischen Orten zu sozialen Brennpunkten. In der Postmoderne distanzierte sich die nächste Generation der Avantgarde der Architektur vom seriellen Bauen und besann sich auf Regionalismus, handwerkliche und formale Traditionen und die Europäische Stadt. In Osteuropa beendete die Wende erst 1989 das serielle Bauen. Die "Plattenbauten" werden zurückgebaut und in der zeitgenössischen Architektur wird jeder Hinweis auf Serialität vermieden. Daran hat sich bis in die Gegenwart noch nicht viel geändert. Durch den Rückzug der deutschen Bauunternehmen aus dem eigentlichen Bauen, dem Niedergang des Handwerks und dem Fachkräftemangel ist die Qualität des Bauens in Deutschland seit 1989 sogar gesunken. Auf der Seite der Planung stehen wir anderseits kurz vor dem Durchbruch der durchgängigen digitalen Planungskette in 3D durch Building-Information-Modelling (BIM). Während die Planung also schon post-industriell funktioniert, wird auf dem Bau noch nicht einmal industriell, sondern wieder mittelalterlich gearbeitet.

In der Flüchtlingskrise 2015 musste plötzlich über Nacht Wohnraum für 1,5 Mio. Menschen geschaffen werden. Dies verstärkte zusätzlich den Trend der Wohnungsknappheit in den deutschen Großstädten, der sich durch den Rückzug aus der Peripherie in die Innenstädte und veränderte Lebens- und Arbeitsverhältnisse seit der Jahrtausendwende eingestellt hatte. In dieser Situation erfuhr das serielle Bauen und insbesondere das modulare Bauen eine Renaissance. Containerbauweisen in allen erdenklichen Varianten hatten Hochkonjunktur. Das modulare Bauen wurde wieder zu einer Gestaltungsaufgabe für Architekten. Wohnungsbauunternehmen und öffentliche Träger richten Wettbewerbe für Modulare Gebäude aus. Die Baugesetzgebung wird reformiert, um modulare Gebäude in vereinfachten Verfahren errichten zu können. Nicht zuletzt werden Kongresse für Modulares Bauen organisiert.

Potentiale des Modularen Bauens

Mehr noch als Stahl bietet vor allem der Holzbau, aber auch der Betonbau Potential. Vorteile des modularen Bauens sind die gesteigerte Bauqualität, geringe Bautoleranzen und Nachhaltigkeit durch optimierten Materialeinsatz. Die durchschnittliche Bauzeit verkürzt sich von 18 Monaten auf 3 Monate bei hoher Termintreue und nahezu Witterungsunabhängigkeit. Es müssen keine verschiedenen Gewerke vor Ort koordiniert werden. Ungelernte Mitarbeiter können im Werk leichter qualifiziert und langfristig gebunden werden. Nicht zuletzt erhöht sich die Baustellensicherheit. Auch werden Arbeitsstunden für Wege und Fahrten zur Baustelle durch die Fertigung im Werk reduziert. Insgesamt entsteht eine hohe Kostensicherheit für Bauherrn und Bauträger.

Nun lässt sich fragen, ob die Module nicht zu einer erheblichen Gestaltungseinschränkung führen. Natürlich ist der Architekt an die Modulgrößen gebunden. Doch durch die verschiedenen Dimensionierungen und Fügungsmöglichkeiten lassen sich unendliche Grundriss- und Gebäudekörpervariationen abbilden. Die Beschränkung bietet Potential für die Gestaltung.

Individualisierung durch Konfiguration

Das Vorbild des modularen Bauens ist die Automobilindustrie. Das Ford-T Modell gab es in allen Farben, solange sie nur schwarz waren. Heutige Fahrzeuge sind durch die Konfigurations-möglichkeiten der Grund- und Sonderausstattungen soweit individualisiert, dass kein gleiches Fahrzeug mehr die Bänder der Hersteller verlässt. Die Fertigung wird durch digitale Tags am Fahrzeug gesteuert mit Auswirkungen bis in die Just-in Time Lieferung von Zubehörteilen. Die Umsetzung dieser Maxime im Modularen Bauen könnte ein mittelfristiges Ziel sein. Das modulare Bauen ermöglicht dann standardisierte Prozesse und selbstähnlich nicht identische Module in Massenfertigungsqualität. Eine durchgängige digitale Planungskette von algorithmusunterstützten parametrischen Entwurf in 3D-Modellen steuert die Planung bis tief hinein in den Fertigungsprozess. More Joy in Repetition.

Der Autor
Professor Bernhard Franken
Architekt und Inhaber
Franken Architekten GmbH