19.06.2020
Florian Henle

Mieterstrom eröffnet Chancen des energieeffizienten, vernetzten Wohnens

Lok.West, Leuchtturmprojekt eines klimaneutralen Stadtquartiers

PV-Anlagen, BHKWs, Wasserstoff-Elektrolyseur, Stromspeicher und Ladestationen im Niedrigenergie-Gebäude – das sind die Eckdaten der Mieterstromversorgung des Esslinger Quartiers. Ein sektorenübergreifendes Konzept für mehr Lebensqualität in der Stadt.

Auf einem alten Güterbahnhofsareal entsteht das Quartier Lok.West in Esslingen am Neckar. Das Immobilienunternehmen RVI realisiert als Bauträger und Investor auf 26.500 Quadratmeter 5 Wohn- und Geschäftsblöcke im KfW 55-Effizienzstandard. Sie umfassen rund 500 Wohnungen sowie private und öffentliche Grünflächen und Höfe.

Eine zentrale Auflage bei der Vergabe war die Entwicklung eines klimaneutralen Stadtquartiers sowie die Aufteilung in Wohn- und Gewerbeflächen. Im Kern werden diese Kriterien mit einem ganzheitlichen Energiekonzept erfüllt, das lokale Energie-Erzeugungsanlagen, Mieterstromversorgung und ein Forschungsprojekt zur Erzeugung und Nutzung von grünem Wasserstoff beinhaltet.

Preisvorteil durch Mieterstrom.

Die Mieterstromversorgung erfolgt durch PV-Anlagen und BHKWs in den Gebäuden des Quartiers. Durch den vor Ort erzeugten Strom profitieren die Bewohner von niedrigen Energiekosten.

Mit einem speziellen Mess- und Abrechnungskonzept sowie Smart Metern an jeder Stromerzeugungs- und Verbrauchsstelle wird dazu sichergestellt, dass jedem Mieter nur der tatsächlich von ihm verbrauchte Stromanteil zugerechnet wird. Im Unterschied zur normalen Stromversorgung muss bei Mieterstrom zwischen Lokal- und Netzstrom unterschieden werden. Denn Netzstrom und Lokalstrom werden unterschiedlich mit Netzentgelten, Steuern, Abgaben und Umlagen belastet. Das ergibt einen Preisvorteil des lokal erzeugten und verbrauchten Strom gegenüber dem Netzstrom.

Das erste Gebäude des Quartiers mit dem Namen Béla, wurde Anfang 2019 fertiggestellt. Es beinhaltet 9 Gewerbeeinheiten und 132 Wohneinheiten mit 21 bis 150 Quadratmetern. Für die Mieterstromversorgung wurde eine 260 kWp PV-Dachanlage errichtet. In Verbindung mit einem BHKW, das 70 kW elektrischer Leistung erzeugt, werden bis zu 70 % des Strombedarfs vor Ort gedeckt. Das ermöglicht nach aktuellem Planungsstand Einsparungen von bis zu 25 % verglichen zum Grundversorger.

Überschussstrom effizient nutzen.

Solarstrom, der nicht direkt im Gebäude genutzt werden kann, gelangt in einen Elektrolyseur, der grünen Wasserstoff erzeugt. Dieser wird in das lokale Mitteldruck-Gasnetz gespeist, in Trailer abgefüllt und zu Industrie und H2-Tankstellen transportiert sowie im BHKW rückverstromt.

In drei der fünf Gebäude sowie in einem Neubau der Hochschule Esslingen wird zudem die Abwärme des Elektrolyseurs zur Warmwasserbereitung und zur Deckung der Heizwärme genutzt. Als Backup zur Wärmeversorgung erhält jedes Gebäude einen Spitzenlastkessel sowie ein Blockheizkraftwerk, betrieben mit Ökogas.

An Ladestationen in den Tiefgaragen sowie an Parkplätzen im öffentlichen Raum laden Elektroauto ebenfalls lokal erzeugten Strom. Alle Gebäude werden zur effizienten Energieversorgung über ein Smart Grid verbunden und an das Strom- und Gasnetz angeschlossen.

Full-Service-Mieterstromkonzept.

Vernetzte Mieterstromprojekte bringen viele Vorteile für Bewohner genauso wie für Immobilienbesitzer, aber sie werden mit wachsender Anzahl an Verbrauchsstellen auch immer komplexer. Ihr Management setzt Spezialwissen über den Energiemarkt voraus, zu Bilanzkreismanagement und Beschaffung, zu regulatorischen, rechtlichen sowie technischen Themen wie Anlagensteuerung und -auslegung. Contracting-Modelle als Full-Service-Mieterstromkonzepte sind daher immer beliebter. Auch die Mieterstromversorgung im Quartier Lok.West wird im Contracting-Modell realisiert.

Das Beispiel Lok.West unterstreicht das große Potenzial von Mieterstrom für den städtischen Klimaschutz. Es verändert die Energieversorgung von Gebäuden nachhaltig und ermöglicht die Erfüllung strenger Förderkriterien. Schließlich stärkt es nicht nur die dezentrale Stromversorgung, sondern ist oft Anlass zum Einsatz weiterer energieeffizienter Technik in anderen Sektoren.

Der Autor
Florian Henle
Geschäftsführer
Polarstern Energie