25.05.2020
Heike Gündling
Verena Rock

Prof. Verena Rock und Heike Gündling im Gespräch zu Ausbildung und Führung in der digitalen Immobilienwirtschaft

Bislang galt zu oft: „Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht“

Über Jahrzehnte hinweg hatten die IT-Bereiche eine geringe Relevanz innerhalb der Unternehmensstruktur. Zu Covid-19 Zeiten merken wir umso mehr, wie notwendig die Technologie und auch die Weiterqualifizierung in dem Bereich ist.

Quelle: Heuer Dialog

Heike Gündling: Welche Qualifikationen fehlen d.E. am meisten in der Immobilienwirtschaft und welche v.a. in Bezug auf die digitale Kompetenz?

Prof. Verena Rock: Es fehlt vielfach an der Fähigkeit, Zusammenhänge und das große Ganze zu sehen. Das gilt in Bezug auf Wertschöpfungsketten und das Potenzial von Daten. Digitalkompetenz fehlt in unserer Branche grundsätzlich noch, was auch damit zu tun hat, dass die IT-Bereiche über Jahrzehnte hinweg eine zu geringe Relevanz innerhalb der Unternehmensstrukturen hatten. Da die analogen Geschäftsmodelle lange hervorragend funktioniert haben ohne große Digitalkompetenz, gab es kaum Notwendigkeit zur Weiterqualifizierung in diesem Bereich. Nun ist die Notwendigkeit da, aber es mangelt vor allem am Verständnis dafür, was Technologien können, um Prozesse und Gebäude zu optimieren und welchen Mehrwert man aus digitalen Geschäftsmodellen und Ökosystemen nicht nur auf der Kostenseite ziehen kann. Die Suche nach entsprechend qualifiziertem Personal an der Schnittstelle IT und Immobilienwirtschaft gestaltet sich für die Branche schwierig – und das beginnt schon damit, Stellenanzeigen mit den richtigen digitalen Schlüsselkompetenzen zu formulieren.

Prof. Verena Rock: Ein Umschalten auf bzw. Arbeiten mit digitalen Tools und remote - etwas, was nicht zuletzt auch die Corona-Krise aktuell zeigt, verlangt auch ein Umdenken in Bezug auf Führung. Trennt die aktuelle Entwicklung gerade die Spreu vom Weizen auf den Führungsetagen der Immobilienwirtschaft?

Heike Gündling: Ja, ich denke schon, denn wer bislang noch keine Erfahrungen damit sammeln konnte, wie man dezentrale Teams führt, wird das jetzt schmerzlich spüren, zumal es ja eben auch noch ein Führen in der Krise ist. Wer bereits Niederlassungen im In- und Ausland führt, wusste auch vorher schon worauf es ankommt: wie z.B. auf klare Kommunikation, d.h. verlässliche Absprachen, ein gutes Selfmanagement etc. Wer dieses Führungs-Einmaleins beherrscht, meistert auch die aktuelle Situation bzw. das Krisenmanagement deutlich besser. Allerdings „fremdeln“ viele Führungskräfte z.T. noch mit den technischen Möglichkeiten. Die aktuellen Kommunikationstools beispielsweise, bieten bereits vielfältige Möglichkeiten und werden auch aktuell permanent weiterentwickelt. So kann man z.B. innerhalb einer Videokonferenz parallel verschiedene Workshops mit unterschiedlichen Teilnehmern organisieren oder Breakout-Sessions initiieren. Im Ausbildungsumfeld wird das sicher schon häufiger eingesetzt.

Heike Gündling: Glaubst Du wir werden in naher Zukunft mehr digitale Unterrichtsformen erleben?

Prof. Verena Rock: Ich glaube, das geht Hand in Hand und ja - schneller als gedacht. Durch Covid-19 arbeiten wir von einem auf den anderen Tag vollständig in der digitalen Lehre. Trotz persönlich erster Startschwierigkeiten zeigen sich bei uns nun schon deutlich Vor- aber auch Nachteile der digitalen Lehrformate. D.h. die Zukunft liegt aus meiner Sicht in der richtigen Mischung aus Präsenz- und digitaler Lehre. Studierende brauchen auch den persönlichen Austausch, das Netzwerk vor Ort, das Gefühl, in einem Boot zu sitzen und live zu diskutieren. Auch für uns Dozenten sind Reaktionen und Gespräche im Hörsaal sehr wichtig; das kann man nur sehr bedingt digital gut abbilden. Die Mischung macht es. Digitale Lehrstücke müssen intelligent und choreographisch hochwertig produziert werden. Hier haben wir hinsichtlich der Professionalisierung der digitalen Lehre in Deutschland noch deutlich Nachholbedarf: wenn man sich z.B. die digitalen Angebote der Top-Unis in den USA anschaut. Da ist noch viel Musik drin und wir müssen die Herausforderung annehmen, aber den lokalen Campus wird der Videoprof nie ganz ersetzen.

Prof. Verena Rock: Die Führungsebenen hätten ja gerade jetzt auch die Chance, endlich digital umzudenken und ihre Unternehmen zukunftsfähig und effizient aufzustellen. Führt die aktuelle Krise zu einem Digitalisierungsschub in der Immobilienbranche?

Heike Gündling: Das hoffen wir alle sehr und es wird sicher bei dem einen oder anderen Unternehmen zu einem Umdenken kommen. Allerdings befürchte ich, dass die überwiegende Zahl dennoch wieder in herkömmliche Abläufe zurückkehren wird, frei nach dem Prinzip: „Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht“.

Prof. Verena Rock: Werden nicht einige Unternehmen gerade gnadenlos überholt auf der Datenautobahn ohne Tempolimit?

Heike Gündling: Das steht weiterhin zu befürchten, denn – auch wenn nun kaum jemand mehr die Notwendigkeit der digitalen Transformation in Frage stellen möchte – besteht die Gefahr, dass Innovationsbudgets nun der Liquiditätspräferenz zum Opfer fallen. Damit würden diese Unternehmen dann endgültig den Anschluss verlieren. Auch hier gehen die, die sich schon vorher aktiv mit neuen Geschäftsmodellen befasst haben, gestärkt aus der Krise hervor. Du hast gerade auch die ausländischen Universitäten erwähnt, mit denen Ihr im Wettbewerb steht. Das Gleiche gilt auch für die Unternehmen unserer Branche. Immerhin handelt es sich um eine weltweite Krise, bei der alle vor den gleichen Herausforderungen stehen. Viele Nationen sind bekanntlich digital schon deutlich besser aufgestellt und werden sich aufgrund von Covid-19 nochmal weiterentwickeln. Der Abstand – und da müssen wir nicht nur in die USA schauen – kann, wenn hier nicht mit Nachdruck gehandelt wird – u.U. sogar noch größer werden.

Prof. Verena Rock: Welche Technologien und Prozesse werden sich in 1-2 Jahren in der Immobilienwirtschaft etabliert haben?

Heike Gündling: Auf der kaufmännischen Seite, die eben genannten, sowie der mobile und gleichzeitig zentralisierte (Cloud etc.) Zugriff auf die Unternehmens- und Objektdaten und auf der technischen Seite das Remote-Maintenance. Eine andere wesentliche Entwicklung sehe ich darin, dass die Nutzung von Immobilien neu gedacht werden muss. Büros werden „Stätten der Begegnung“, die eigentliche Arbeit wird aber dezentraler, also auch zu einem nicht unwesentlichen Teil z.B. im HomeOffice stattfinden. Dies zu Organisieren und Koordinieren wird nur digital möglich sein. Die Technologien reichen dann von Belegungs- bis Projektmanagementtools.Die Unternehmen müssen sich dafür jetzt – nicht nur technologisch – rüsten, sondern auch das richtige Personal aufbauen.

Heike Gündling: Konzentrieren sich Deiner Ansicht nach die derzeitigen Ausbildungsangebote eigentlich zu stark auf technische und weniger strategische Kompetenzen, wie z.B. die Fähigkeit in neuen Geschäfts- und Risikomodellen zu denken?

Prof. Verena Rock: Technische Primärstudiengänge gibt es sehr viele und auch sehr gute, durchaus mit hoher Relevanz und Bezug zur Immobilienbranche. Technisches Basiswissen ist auch unabdingbar. An der TH Aschaffenburg möchten wir aber einen Schritt weiter gehen und mit unserem neuen Studiengang Digitales Immobilienmanagement den ganzheitlichen Blick auf die digitale Zukunft der Immobilienbranche vermitteln. Strategisches Denken in Geschäftsmodellen und Wertschöpfungsketten über den eigenen Tellerrand hinaus bringt einen echten Mehrwert für die Immobilienbranche. Daher bilden wir auch keine reinen Programmierer aus. Es ist nicht nur wichtig, die Technologie zu beherrschen, sondern eine ganzheitliche Vision zu entwickeln, wo diese einsetzbar ist. Und wie damit, z.B. mit durch KI ausgewerteten großen Datenmengen, ein Mehrwert für Nutzer und Investoren gleichermaßen geschaffen werden kann. Das ist unser Fokus für die Qualifizierung des digitalen immobilienwirtschaftlichen Nachwuchses.

Prof. Verena Rock: Man könnte auf die Idee kommen, dass die Scheu der Führungskräfte, eine Digitalisierungsstrategie nicht nur aufzusetzen, sondern auch umzusetzen, etwas mit Führungskultur zu tun hat?! Themen wie Transformation, Change-Management, Resilienz in der Krise sind ja eigentlich nichts Neues…Wie nimmt man die Mitarbeiter mit? Ist da nicht gerade jetzt das Window of Opportunity?

Heike Gündling: Absolut. Wer die Krise zum Anlass nimmt, sich spätestens jetzt adäquat aufzustellen, d.h. das eigene Geschäftsmodell wirklich kritisch zu überdenken, kurzfristige Anpassungen vorzunehmen, also auch Prozesse verschlanken, smarte Tools einsetzen, aber eben auch das richtige Personal, mit dem entsprechenden Know-How und Mindset zu entwickeln, der hat noch eine Chance.

Heike Gündling: Glaubst Du, dass zumindest die Bereitschaft, hierbei stärker in die Ausbildung zu investieren allmählich wächst?

Prof. Verena Rock: Ganz langsam, wobei ich befürchte, dass die Investitionsbereitschaft aktuell durch andere Prioritäten wieder ein Stückweit gebremst wird. Da aber laut Studien der Hinderungsgrund Nummer 1 der Digitalisierung, fehlende personelle Ressourcen sind, wird das Thema einer guten, digitalen Ausbildung an der Schnittstelle zur Immobilienwissenschaft immer relevanter. Man beobachtet zunehmend, dass Immobilienunternehmen händeringend digital ausgebildetes Personal in anderen Branchen suchen. Wer nicht investiert, wird vermutlich bald abgehängt. Human Capital wird nämlich noch mehr als bisher DIE Ressource der digitalen Zukunft.

Prof. Verena Rock: Was ist aus Deiner Sicht die Minimallösung für die digitale Transformation eines Immobilienunternehmens?

Heike Gündling: Das lässt sich nicht so einfach pauschal sagen, da es natürlich auf den Schwerpunkt des Unternehmens ankommt, die Spannweite ist da in der Immobilienwirtschaft groß. Also – handelt es sich z.B. um einen Fondsmanager oder aber einen Projektentwickler etc.? Aber grundsätzlich lässt sich sagen, dass die meisten Unternehmen zum einen noch sehr papierlastig sind und zum anderen ein und dieselben Informationen in verschiedenen „Aggregatszuständen“ im Unternehmen vorhalten. Das bedeutet, dass wenigstens ein leistungsfähiges DMS und ein ERP-System ohne Medienbrüche Standard sein sollte.

Heike Gündling: Und welche kurzfristigen Veränderungen wünschst Du Dir für die Ausbildung des immobilienwirtschaftlichen Nachwuchses?

Prof. Verena Rock: Kurzfristig sollte man nach und nach moderne Arbeitsmethoden, Digitalisierungsstrategien und eine stärker kundenzentrierte Sichtweise in die bisher sehr funktional ausgerichteten Immobilienstudiengänge, Fächer und Module einfließen lassen. Dies gelingt kurzfristig mit einem noch stärkeren Praxisbezug. Für die jungen Generationen als digital natives ist da eine hohe Selbstverständlichkeit im Umgang mit der Digitalisierung positiv verstärkend. Unser Digitalstudiengang qualifiziert umfassend, und ich hoffe, dass mittel- bis langfristig noch mehr Hochschulen einen ähnlichen Weg gehen werden.

Heike Gündling:

Genau! Und wenn wir unseren Nachwuchs so auf die Immobilienwirtschaft 5.0 vorbereiten, sollte digitales Management ebenso eine Selbstverständlichkeit werden.
Die Autoren
Heike Gündling
Managing Director
Eucon Digital GmbH
Prof. Dr. Verena Rock
Direktorin
IIWM – Institut für Immobilienwirtschaft und -management TH Aschaffenburg