Der Autor
Prof. Dr. Heinz-Dieter QuackLeiter, Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes
Im europäischen Vergleich erreicht der Tourismus in Deutschland die höchsten Ankunfts- und Übernachtungszahlen, was vor allem auf die starke Binnennachfrage zurückzuführen ist. Insgesamt ist die Tourismuswirtschaft eine sehr dynamische Branche, deren soziale, ökologische und ökonomische Dimensionen die gesamtgesellschaftliche Entwicklung des Landes prägen. Gleichzeitig stehen immer häufiger auch die damit verbundenen negativen Auswirkungen in der Kritik. Das Nachhaltigkeitsbewusstsein in der Bevölkerung ist gestiegen: Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung findet ökologische und soziale Nachhaltigkeit bei Urlaubsreisen wichtig. Trotzdem gibt es noch eine große Lücke zwischen dem Bewusstsein und dem tatsächlichen Reiseverhalten, was u. a. an einer steigenden Anzahl Fernreisen zu erkennen ist.
Neben dem Thema Nachhaltigkeit spielt hier auch die Digitalisierung eine besondere Rolle: Die Tourismusbranche gehört zu den Wirtschaftszweigen, deren analoge Produkte und Dienstleistungen in hohem Maße digital vertrieben werden und damit stark vom digitalen Wandel betroffen sind. Dies zeigt sich auch an dem Erfolg der Plattformökonomie im Tourismus. Von Beherbergung (booking.com, expedia, etc.) bis hin zu Ausflügen und Aktivitäten (GetYourGuide, tripadvisor, etc.) - für nahezu alle Segmente der touristischen Wertschöpfung ist der Vertrieb über digitale Plattformen von essentieller Bedeutung. Ebenso forcieren die Erwartungen und Bedürfnisse der Kunden die Bedeutung der Digitalisierung in der Tourismusbranche. Digitale Helfer wie Apps, Social-Media-Kanäle usw. sind aus Sicht der Gäste inzwischen fast untrennbar mit dem Urlaubserlebnis verbunden. Innerbetrieblich sind in Zeiten des personalisierten Marketings die Anforderungen an Datenmanagement und digitale Geschäftsprozesse exponentiell gestiegen. In diesem Wettbewerbsumfeld werden sich zukünftig vor allem touristische Unternehmen positionieren können, die über eine „digitale DNA“ verfügen. Ein ausgeprägter Daten- und Analysefokus und eine effiziente IT- und Schnittstellenstruktur sind kennzeichnend für diese erfolgreichen Akteure.
Bisher zeigt sich die Branche eher verhalten, wenn es darum geht, die Potenziale der Digitalisierung vollständig auszuschöpfen und den steigenden Anforderungen internationaler Reisender gerecht zu werden. Hinzu kommt, dass sich die Wachstumsaussichten für 2020 aktuell stark eingetrübt haben, denn die Ausbreitung des Coronavirus schwächt den gesamten internationalen Reiseverkehr. Die derzeitige Präsenz des Virus manifestiert sich bereits in rückläufigen Neubuchungen für den Sommer 2020. Rückgänge internationaler Ankünfte von bis zu 25 %, wie sie z. B. für den chinesischen Quellmarkt prognostiziert werden, sind nicht unwahrscheinlich. Dennoch zeigen die Erfahrungen mit vergangenen Krisen, dass Nachfragerückgänge durch Nachholeffekte auch zügig wieder ausgeglichen werden können. Inzwischen wurden rund 500 Messen weltweit verschoben oder abgesagt, davon 52 in Deutschland. Es drohen nicht nur den Ausstellern finanzielle Einbußen. Die Absagen treffen Messeveranstalter und besonders die unmittelbar vom Messegeschäft abhängigen Dienstleister wie die Hotellerie und Gastronomie. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen für die deutsche Tourismuswirtschaft sind daher noch nicht abzusehen. Fest steht: Die Krisenfestigkeit der mittelstandsgeprägten Branche wird einmal mehr auf die Probe gestellt. Gleichzeitig bietet der Umgang damit auch die Chance, durch eine stringent starke digitale und nachhaltige Ausrichtung neue Stabilität zu erlangen.
Die wichtigsten Themen und Trends im Deutschlandtourismus hat das Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes im Handbuch „Tourismus 2030 – Bausteine der Zukunft“ zusammengefasst.