Die Umsätze des Handels nehmen noch leicht zu, davon schöpft der überproportional wachsende Onlinehandel den größten Teil ab. Anbieter, die ihren Laden weiter als Verkaufsfläche betreiben und Ware verkaufen wollen, erleben, dass die Kundin sie unmotiviert links liegen lässt. Wer verkaufen will und weiterhin nur Produkte anbietet, hat längst ein erhebliches Problem und tappt in die Stillstandsfalle.
Die Kundin bzw. der Kunde wollen weniger VERbrauchen und statt dessen mehr GEbrauchen. Sie wollen weniger besitzen und mehr benutzen. Sie suchen keinen Bedarfsdecker sondern Bedarfswecker. Aus Push muss Pull werden oder wie es DM Drogeriemarktgründer Götz Werner formulierte „Wir müssen statt Druck einen Sog erzeugen“. Die nächste Generation zelebriert ohnehin ihren Lifestyle „Wenig“ – alles andere finden sie viel zu anstrengend.
Der Handel muss sieben goldene Regeln beachten, um sich wieder interessant zu machen:
- Läden und Produkte müssen inszeniert werden, so dass der Einkauf nur der logische Abschluss eines guten Erlebnisses ist.
- Plattformen boomen und lassen Grenzen verschwimmen. Der gute alte Marktplatz wird – richtig verstanden und ins 21. Jahrhundert übersetzt – zur emotionalen Plattform für Information, Lifestyle und Unterhaltung.
- Die Kundin hat noch nie in Vertriebskanälen gedacht, sondern lebt in ihren digitalen und realen Welten längst nahtlos vernetzt. Der Handel übt noch, sich von Multichannel zu Omnichannel zu entwickeln, während die innovativen Vorreiter längst den „Walk-In-Webstore“ testen. Nur barrierefrei vernetzt und mit höchstem Service kann das Angebot des Handels noch konkurrieren.
- Genauso trennt die Konsumentin nicht mehr bestimmte Branchen sondern genießt ihren individuellen Lifestyle. Das heißt, dass zum Beispiel Food, Reisen, Mobilität, Beauty, Wellness und Smart Living für sie zusammen gehören. Der Handel muss deshalb Grenzen abbauen und im besten Sinne von Cross Innovation stärker mit anderen Branchen kollaborieren.
- Kunden zu Freunden machen klingt wie ein angestaubter Satz aus dem Lehrbuch – ist es aber nicht: wem es heute gelingt, Communities aufzubauen, zu denen sich die Konsumentin hingezogen fühlt, der erhöht wieder Kundenbeziehung und Loyalität. Hier gilt es, Erlebnisse, Spaß und Lösungen anzubieten, auf die man nicht mehr verzichten mag.
- Große und Kleine lieben Geschichten: Storytelling wird dennoch viel zu wenig eingesetzt. Dort, wo es passiert, gehen Interaktion und Umsätze nach oben, das konnte man jüngst bei den Instagram Stories einiger innovativer Brands zum Valentinstag beobachten.
- Überraschen, Spielen und Verführen liegt uns Deutschen wahrlich nicht in den Genen. Wir offerieren Produkte lieber mit detailliertem Expertenwissen. Spaß ist ausdrücklich gewünscht und wer die Werbung genau verfolgt, wird zugeben, dass wir diese Elemente dort überall finden. Wer lacht nicht gerne über Werbung von SIXT oder die Spots von EDEKA.
Wo droht Gefahr? Der Modehandel muss sich zum Beispiel meines Erachtens auf unruhige Zeiten einstellen: erstens nimmt die Zahl der Start Ups zu, zweitens nimmt das Kapital, was dort hinfließt, deutlich zu. Wenn diese beiden Indikatoren zusammen kommen, gilt es, offene Flanken zu schließen und sich gut auf Disruptoren vorzubereiten. Die Technologie für Styling und Sizing ist längst in der Lage, der Kundin und dem Kunden nach Bodyscan im Wohnzimmer maßgeschneiderte Mode zu liefern. Künstliche Intelligenz lernt blitzschnell, welcher Style perfekt ist. Ein großer und attraktiver Markt, der sich gerade mit Wucht zu entwickeln beginnt.
Der Handel muss jetzt also seinen knapper werdenden Vorsprung ausbauen und mit smarten und charmanten Ideen punkten, damit die Musik bei ihm weiterspielt und wir ihn nicht mit einem dramatischen Requiem zu Grabe tragen müssen.
Der Autor
Stephan Jung
Inhaber,
InoventiQ Group
Das Event zum Thema
Montag, 28. September - Dienstag, 29. September 2020
Düsseldorf