Angela Rüter: Die städtebauliche Gestaltungsfreiheit der Stadt ist derzeit sehr eingeschränkt. Wie kann der kommunale Einfluss gestärkt und die Kooperation mit privaten Entwicklern und Investoren vertieft werden? Sind private Entwickler dabei (immer nur) die schwarzen Schafe?
Steffen Jäckel: In der Tat ist die Landeshauptstadt Dresden flächenmäßig nicht mehr Grundstückseigentümerin an vielen wichtigen Plätzen der Stadt und hat somit keinen direkten Einfluss auf die Gestaltungsästhetik. Das schließt aber nicht automatisch aus, dass es keine Möglichkeiten auf die Art und Weise der Anordnung von Gebäuden, der Qualitäten von Fassaden und der Standortaussage einer Immobilie gibt.
Es ist natürlich immer ein Abstimmungsprozess zwischen den Interessen der Grundstückseigentümer und denen der Stadt Dresden erforderlich.
Aber eigentlich sollte das nicht zum Problem erklärt werden, sondern zu einer Selbstverständlichkeit des zielgerichteten gemeinsamen Arbeitens. Auf beiden Seiten ist dafür ein hohes Maß an Verbindlichkeit der Aussagen erforderlich, sonst kann es schnell zu Verstimmungen führen; dabei spielt es keine Rolle, welchen Status der Grundstückseigentümer hat. Elementare Voraussetzung dafür ist, dass die infrastrukturellen Bedarfe einer wachsenden Großstadt stets erfüllt sein müssen. Der in Dresden sichtbare Mangel an verfügbaren Grundstücksflächen für kommunale Infrastrukturen geht weit über den Bedarf für neue Wohnbauvorhaben der WiD hinaus. Stark veränderte Sichtweisen z.B. auf das Stadtklima und die Individualmobilität erweitern und prägen neuerlich die Entscheidungsmatrix innerhalb der Stadtverwaltung und sind noch lange nicht abschließend diskutiert. Die Rolle des schwarzen Schafes muss man dabei nicht besetzen.
Kommune und Grundstückseigentümer durchleben gerade einen sehr intensiven Lernprozess, dessen Ausgang immer den gesamtgesellschaftlichen Willen wiederspiegeln sollte.
Wer sich da unabgestimmt im Alleingang auf den Weg macht, derjenige macht sich selbst zum schwarzen Schaf.
Angela Rüter: Dresden hat vor 13 Jahren seine kommunalen Wohnungen privatisiert - inwieweit ist der externe Zukauf nun eingeschränkt, welchen Herausforderungen muss sich der WID neu stellen bzw. war der damalige Verkauf ein Fehler?
Steffen Jäckel: Dem Verkauf der WOBA DRESDEN GmbH lag ein demokratischer Mehrheitsbeschluss zu Grunde; deshalb spreche ich nicht von einem Fehler. Fakt ist aber auch, dass eine solche Mehrheit heute nicht mehr zustande kommen würde. Der Ratsbeschluss vor 13 Jahren ist ein „Opfer des Phänomens der unvollständigen Information aus der Entscheidungstheorie“.
Dresden hat sich deutlich positiver entwickelt als alle Prognosen es vor 13 Jahren beschrieben hatten – das kann ja auch mal als Statement festgehalten werden.
Weil aber nicht nur die WOBA-Wohnungen sondern auch weitere städtische Liegenschaften bis in´s Jahr 2015 verkauft worden sind, besteht nunmehr ein zunehmend akuter Flächenbedarf für neue kommunale Infrastrukturen – darunter auch für die WiD. Der Ankauf von geeigneten Grundstücken unterliegt einer irrationalen Preisdynamik und ist getrieben von nicht mehr funktionierenden Finanzmärkten. Daran wird die Stadt Dresden aber nichts ändern können.
Angela Rüter: Sie wünschen sich ein Update der Richtlinie „Gebundener Mietwohnungsbau“ sowie ein Update der „Baukostenobergrenze“. Gerade bei öffentlichen Projektentwicklungen muss bedarfsgerecht gebaut werden. Was sind die Fallstricke der bisherigen Richtlinien/Obergrenzen? Was müsste Ihrer Meinung nach angepasst werden?
Steffen Jäckel: Die aktuelle Förderrichtlinie RL gMW des Freistaates Sachsen hat einen Neuanfang des belegungsrechtsgebundenen Wohnungsbaus eingeläutet. Sie war und ist ein wichtiger Meilenstein, den die WiD in den drei Programmjahren 2017, 2018 und 2019 sehr intensiv in Anspruch genommen hat. Bis Ende 2022 werden hierüber ca. 600 neue WiD-Wohnungen für einkommensschwache Haushalte in Dresden bezugsfertig gebaut sein.
Soweit so gut, allerdings haben wir auf dem bisherigen Fördermittelweg auch Dinge festgestellt, die man anpassen könnte bzw. mit weiteren, neuen Programmen fördern könnte.
In der aktuellen Förderrichtlinie haben wir angeregt, in der absoluten Förderhöhe auch die Baukostendynamik einfließen zu lassen.
Das ist deshalb erforderlich, weil die Baukosten aktuell schneller steigen als die Quadratmetermieten für Wohnraum und somit die Finanzierbarkeit der Baumaßnahmen nicht mehr aufgehen wird. Außerdem trete ich seit längerer Zeit mit der Forderung an, die Dauer der Belegungsrechtsbindungen von aktuell kurzen 15 Jahren deutlich zu erhöhen. Das sächsische Förderprogramm hat damit die kürzesten Belegungsrechtsbindungen im Vergleich mit anderen Bundesländern. Eine weitere Stellschraube im aktuellen Programm könnte auch eine quotale Förderung von Gemeinschaftsräumen im Mehrfamilienhaus sein; bisher werden lediglich klassische abgeschlossene Wohnungen gefördert.
In neuen Förderprogrammen könnten wichtige Zusatzförderungen aufgenommen werden wie z.B. besondere Maßnahmen zur stadtklimatischen Ertüchtigung von Wohnquartieren, der besonderen Förderung von behinderten- bzw. rollstuhlgerechten Wohnungen, die ja auch höhere Baukosten erfordern.
Ich denke, das aktuelle Förderprogramm ist ein guter Anfang, aber noch lange nicht der gesamtgesellschaftliche Konsens.
Angela Rüter: Was sagen Sie zur Richtlinie der „Bedarfsgemeinschaft“? Ist diese noch zeitgemäß?
Steffen Jäckel: Das Rechtsinstitut der Bedarfsgemeinschaft war schon seit seiner Entstehung umstritten und ist es heute – trotz vieler Anpassungen - immer noch. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und man könnte allein hierüber Bücher schreiben. Der klassische Familienverbund, dem ursprünglich der Begriff dem Grunde nach folgte, ist heute zwar noch üblich, aber bei weitem nicht die einzige Form des Zusammenlebens von Menschen in einem Haushalt. All diese Facetten sollte ein zeitgemäßer Begriff der „Bedarfsgemeinschaft“ umfassen. Das ist eine Aufgabe ohne Ende, die jedoch gemeistert werden muss.
Angela Rüter: Aber Dresden macht bei der Stadtentwicklungsplanung auch Einiges richtig. Was würden Sie hier hervorheben? Was sind besonders nachhaltige Ergebnisse?
Steffen Jäckel: Ich nehme Dresden seit der Wende als eine sehr vielfältige und lebenswerte Stadt wahr, die ihr Erscheinungsbild an den meisten Plätzen permanent verbessert hat. Das betrifft sowohl Wohngebiete als auch die gezielte und verträgliche Ansiedlung neuer Forschungs- und Gewerbestandorte. Darum beneiden uns viele andere Städte in Deutschland. Leider ist die Wahrnehmung nicht bei allen Dresdnern so präsent, was ich nicht nachvollziehen kann.
Ja, Dresden hat sich in den letzten 30 Jahren sehr gut entwickelt, auch Dank einer weitsichtigen Stadtentwicklung.
Die Prager Straße hat sich zu einer modernen innerstädtischen Einkaufs- und Erlebnismeile entwickelt, der Neumarkt steht als historisches Pendant. Dazwischen liegen der Altmarkt als immer lebendig bespielter Marktplatz mit dem denkmalgerecht sanierten Kulturpalast und seinem inneren Juwel – dem erstklassigen Konzertsaal der Dresdner Philharmonie. Man kann sich bestimmt über Details streiten und hier und da eine begründet andere Meinung haben, aber insgesamt haben sich die Dresdner eine sehr lebenswerte Stadt gebaut, die auch ich jeden Tag sehr zu schätzen weiß.
Steffen Jäckel wird als Geschäftsführer der WID auf dem Immobilien-Dialog Dresden am 8. Dezember 2020 an einer Diskussionsrunde zum „Dresdner Wohnungsmarkt“ teilnehmen.