Der Autor
Joachim StumpfGeschäftsführer, BBE Handelsberatung GmbH und IPH Handelsimmobilien GmbH
1. Die Kunden kaufen weiterhin ein – aber nicht längst bei allen
Die gute Nachricht zuerst. Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen könnten derzeit kaum besser sein – vielen Risiken zum Trotz. Die robuste Konjunktur stützt Einkommen und Kaufkraft der Menschen. Besonders erbauend ist aber, dass der Anteil der privaten Konsumausgaben im Einzelhandel im Vergleich zu anderen Ausgaben wie Reisen, Miete oder Auto wieder steigen. Ist die Welt des Einzelhandels also in Ordnung? Leider nein, denn die Kehrseite sind die enorm gewachsenen Ansprüche der Kunden an die Unternehmen, deren Verkaufskonzepte, aber auch an die Handelsstandorte und -lagen. Die Polarisierung des Handels wird daher weiter zunehmen.
2. Frequenzen bleiben problematisch
Hinzu kommt, dass die steigende Kauflust der Deutschen immer weniger im stationären Handel ausgelebt wird. Die sinkenden Frequenzen der Handelslagen bereiten vor allem jenen Unternehmen Schmerzen, deren Differenz zwischen Capture-Rate (Wie viel Frequenz hat mein Laden?) und Conversion-Rate (Wie viele dieser Besucher kaufen tatsächlich ein?) vergleichsweise klein, die Anhängigkeit der Umsätze von einer hohen Laufkundschaft jedoch entsprechend hoch ist. Wie bei jeder Regel gibt es aber auch hierfür Einschränkungen. Der wachsende Multichannel-Handel hat dazu geführt, dass die Customer Journey des Kunden mittlerweile sowohl über digitale als auch stationäre Touchpoints führt. Eine klare Zuweisung der Umsätze entweder nur zur stationären Fläche oder nur dem eigenen Webshop ist kaum noch möglich.
3. Stationäre Händler holen digital auf
In der Folge kommen die Umsätze im Online-Handel längst nicht mehr nur den Internet-Pure-Playern zugute. Dank großer Investitionen in ihr digitales Geschäft konnten stationäre Händler zuletzt die größten Wachstumsraten im Internet aufweisen. Mit dem Aufbau einer digitalen Präsenz allein ist es jedoch längst nicht getan. Es gilt, sich auf ureigenste Stärken zu besinnen und mit exzellenter Beratung, einem hohen Wohlfühlfaktor und Erlebnissen vor Ort Mehrwerte zu bieten, die das Internet nicht hat. Dass stationäre Flächen im Vergleich zu einem Webshop unverzichtbare Vorzüge bieten, haben übrigens auch ehemals reine Online-Händler erkannt, die mittlerweile zusätzlich „offline“ gehen. Aus Marketingsicht haben physische Flagship-Stores für Online-Händler den Vorteil, dass das Produkterlebnis im Geschäft sehr genau kuratiert und gesteuert werden kann. Der Kunde soll sich im Laden in einer ausgeklügelt gestalteten Produkt- und Markenwelt verlieren. Im schnelllebigen Internet mit Pop-up-Fenstern und blinkenden Werbebannern ist das nur sehr schwer möglich.
4. Sonderkonjunktur der Nahversorger geht weiter
Eine Branche, die auch im kommenden Jahr Stabilität verspricht, ist der Lebensmittelhandel. Dessen Umsatzzuwächse liegen deutlich über denen des gesamten Einzelhandels. Auch die digitale Disruption der Nahversorgung durch reine Online-Anbieter bleibt aus. Zwar wächst der Online-Anteil am Umsatz des Lebensmittelhandels weiter, bleibt aber auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Der positive Ausblick der Branche sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Lebensmittelhandel derzeit in hohem Maße in Bewegung ist und versucht, sich mit neuen Flächen- und Standortkonzepten für die Zukunft zu positionieren.
5. Reurbanisierung zeigt Wirkung
Die Lebens-, Einkaufs- und Mobilitätsgewohnheiten der Menschen verändern sich rasant – und damit auch die Anforderungen an die Händler und Handelsimmobilien. Im Sog der demografischen Wanderung in die Städte reurbanisieren sich vor allem die Nahversorger und ziehen ihren Kunden hinterher in urbanere Gebiete. Die Bedeutung des Autos für die Mobilität sinkt, gleichzeitig wächst die Distanzsensibilität der Kunden, die immer seltener bereit sind, in die Randlagen zu fahren. Der Handel reagiert darauf mit wachsender Nähe zum Kunden und neuen, deutlich angepassten Flächen- und Verkaufskonzepten, die in den hochverdichteten Städten funktionieren.