Interview mit Wolfgang Aichinger (Agora Verkehrswende)

Verkehrswende bedeutet auch Parkraumwende!

Mit den neuen Mobilitätskonzepten der Städte kommen neue Fahrbahnen für Fahrräder und Busse. Aber auch das Parken verändert sich! Das privilegierte Parken in unseren Städten bezahlen wir mit der Verdrängung sozialen Lebens - ein sehr hoher Preis!

Petra Banzhaf 18. Oktober 2019
Wolfgang Aichinger, Projektleiter Städtische Mobilität, Agora Verkehrswende
Quelle: Agora Verkehrswende

PB: Wie wird der ruhende Verkehr in der Stadt der Zukunft aussehen?

WA: Viele Städte arbeiten bereits aktiv daran, Straßen und ganze Nachbarschaften wieder lebendig und attraktiv umzugestalten. Das wird möglich, indem der ruhende Kfz-Verkehr vom öffentlichen Raum in das riesige Reservoir an privaten Stellplätzen in Garagen und Parkhäusern verlagert wird. Der verbleibende Bestand an Stellplätzen im öffentlichen Raum wird bewirtschaftet, und zwar in Abhängigkeit von seinem tatsächlichen Wert, der sich an Faktoren wie Zentralität oder auch Knappheit bemisst. Es wird also deutlich teurer, im öffentlichen Raum zu parken.

PB: Welche Auswirkungen wird diese Entwicklung auf unsere Städte haben, im Bezug auf die Lebensqualität?

WA: Dort wo heute Autos stehen, kann sich wieder Nachbarschaftsleben entfalten – auf Märkten, in Cafés oder Spielplätzen. Der Preis, den wir heute für das privilegierte Parken in unseren Städten bezahlen, ist doch die Verdrängung des sozialen Lebens; das ist ein sehr hoher Preis. Ohne parkende Autos ändert sich aber noch mehr: Die Kunden des Einzelhandels bleiben bei einer attraktiven Straßengestaltung länger in der Stadt und kaufen in mehr Läden ein. Gastronomen haben mehr Platz vor der Tür, für einzelne Tische oder gleich einen neuen Gastgarten. Auch neue Radwege oder Busspuren werden durch die Umwandlung von Autostellplätzen ermöglicht.

PB: Wo liegt die größte Herausforderung bei der Umsetzung von neuen Parkraumkonzepten?

WA: Die einfache und günstige Verfügbarkeit von Parkplätzen ist einer der Hauptgründe dafür, dass Menschen ins Auto steigen. Werden Parkplätze für Radwege oder eine gute Straßengestaltung verwendet, hat das natürlich Einfluss auf Routinen; das ist immer unbequem. Aber Autofahrende haben viele Möglichkeiten, darauf zu reagieren – etwa, indem sie private Stellplätze nutzen, in Parkhäuser bzw. Park-and-Ride-Anlagen ausweichen, oder gleich auf das Fahrrad umsteigen. Was wenig nützt, sind „faule Kompromisse: So erzeugen die letzten fünf Parkplätze, die in einer Straße noch verbleiben, oft dermaßen viel Parksuchverkehr, dass die ganze Idee der Verkehrsberuhigung verpufft.

PB: Wie steht Deutschland, im Vergleich zu anderen OECD Staaten, bei der Dekarbonisierung der Städte da?

WA: In den Niederlanden wurde jüngst beschlossen, in den nächsten fünf Jahren emissionsfreie Zonen in rund 40 Städten zu schaffen. Luftreinhaltung und Klimaschutz wird dort schon zusammengedacht, während hierzulande um möglichst viele Ausnahmen von Diesel-Fahrverboten gerungen wird. Im Vergleich zu anderen Ländern ist in Deutschland bemerkenswert, mit wie viel Druck aus der Bevölkerung mittlerweile der Umbau unserer Verkehrssysteme gefordert wird, Stichwort „Radentscheid“. Und auch wenn noch nicht allzu viel auf den Straßen zu sehen ist: Viele Städte beschließen derzeit massive Investitionen in den öffentlichen Verkehr und in neue Radwege. Was fehlt, sind noch deutlichere „Push“-Anreize, wie etwa Parkraummanagement oder Gebühren für die Straßennutzung, vom Lkw bis zum Pkw.

Die Autorin
Petra Banzhaf
Projektleiterin, Sturme Communications

Das Event zum Thema

Donnerstag, 16. Januar - Freitag, 17. Januar 2020
2. Mobilitätsgipfel
Wolfsburg