16.11.2018
Jan Hennig

Handels-Dialog Baden-Württemberg

„Wohnen auf dem Supermarkt“ – Rechtlicher Rahmen für die Aktivierung von Flächenpotentialen

Nach Untersuchungen der Zentren der 70 größten deutschen Städte durch die TU Darmstadt sind ca. 3.700 Supermarktstandorte für eine „Aufstockung“ geeignet und würden Potential für ca. 1 Mio. Wohnungen bieten.

Dabei ist die Idee, Wohnraum über Supermärkten zu schaffen, nur eine von etlichen denkbaren Mischnutzungen: Stelzenbauten über ebenerdigen Parkplätzen, Sportplätze auf Dächern von großflächigem Einzelhandel, Überbauung mit Büro- oder Hotelnutzungen oder Sonderwohnformen sind weitere Optionen.

Verbunden sind diese Ideen häufig mit der Hoffnung, die Potenziale durch kurzfristige Genehmigung ohne Bebauungsplanverfahren rasch zu heben. Den planungsrechtlichen Rahmenbedingungen am jeweiligen Standort kommt dabei entscheidende Bedeutung zu.

1.  Vereinbarkeit mit bestehendem Planungsrecht

Liegt ein Standort bereits im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, so ist zu prüfen, ob eine Aufstockung oder der – aufgrund der Statik oft realistischere – Abriss des Bestandsgebäudes mit anschließendem Neubau des gemischt genutzten Gebäudes nach den Festsetzungen des Bebauungsplans insbesondere hinsichtlich Art und Maß der Nutzung zulässig ist. Die größten Potenziale bestehen häufig in Mischgebieten, allgemeinen Wohngebieten und Gewerbegebieten.

2. Unbeplanter Innenbereich

Fehlt es an einem Bebauungsplan, können Vorhaben im unbeplanten Innenbereich unter den Voraussetzungen des § 34 BauGB umgesetzt werden. Ein Vorhaben ist gemäß § 34 BauGB zulässig, wenn es sich insbesondere in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Standorte mit Gemengelagen verschiedener Nutzungsarten und Gebäudehöhen sind hier klar im Vorteil. In reinen Fachmarktlagen wird es zumeist an einem Vorbild für Wohnnutzungen fehlen.

3.  Planerfordernis

Ist das geplante Vorhaben nach geltendem Planungsrecht nicht zulässig, kann die Zulässigkeit durch Aufstellung eines Bebauungsplans mit den entsprechenden Festsetzungen zu Art und Maß der Nutzung herbeigeführt werden. Allerdings dauert ein solches Bebauungsplanverfahren selten kürzer als anderthalb Jahre. Im Einzelfall kann die Dauer bisweilen durch Beschränkung auf eine projektbezogene Planung mit begleitendem städtebaulichem Vertrag im beschleunigten Verfahren oder die Wahl eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans verkürzt werden. In jedem Fall müssen die aufgeworfenen Themen – insbesondere Immissionskonflikte, verkehrliche Auswirkungen, etc. – im Zuge der Planung ermittelt, bewertet und bewältigt werden.

Bei der Aufstellung eines Bebauungsplans steht seit der Einführung des „Urbanen Gebiets“ im Jahr 2017 mit § 6a BauNVO ein neuer Baugebietstyp zur Verfügung, der Nutzungsmischungen von Wohnen und Gewerbe fördern soll. Insbesondere ermöglicht er eine höhere Bebauungsdichte und erleichtert die Mischung von Wohnen und Gewerbe durch höhere Immissionsrichtwerte. Auch muss die Nutzung von Wohnen und Gewerbe nicht gleichgewichtig sein. Allerdings sind großflächige Einzelhandelsbetriebe in Urbanen Gebieten nach § 11 Abs. 3 BauNVO regelmäßig ausgeschlossen, so dass dieser neue Gebietstyp in vielen Fällen zur Überbauung von Einzelhandelsstandorten nicht hilfreich ist.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass etliche deutsche Städte in der Bauleitplanung spezifische  Modelle zur Schaffung „bezahlbaren“ Wohnraums anwenden (in München: Modell der sozialgerechter Bodennutzung; in Berlin: Modell der kooperativen Baulandentwicklung; in Frankfurt und Hamburg: bisher keine originäre Rechtsgrundlage, jedoch „Sozialquote“ oder freiwillige Vereinbarung des Bündnisses für Wohnen). Hier muss sich der Projektträger durch städtebaulichen Vertrag verpflichten, für einen gewissen Anteil der Wohneinheiten oder der Geschossfläche eine Mietpreis- und Belegungsbindung einzugehen.

4. Befreiungsmöglichkeit, § 31 Abs. 2 BauGB

Sofern ein geplantes Vorhaben den Festsetzungen eines geltenden Bebauungsplans widerspricht, kann unter Umständen anstelle einer Bebauungsplanänderung  eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB beantragt werden. Dies setzt insbesondere voraus, dass das Vorhaben keine Grundzüge der Planung berührt. Zwar liegt die Entscheidung über die Befreiung grundsätzlich im Ermessen der Behörde, jedoch ist eine Befreiung eine zeitsparende und kostengünstige Lösung und häufig ein gangbarer Weg, wenn eine Gemeinde ein Vorhaben ermöglichen will.

 5. Fazit

Die Aktivierung von Potentialen bereits versiegelter Flächen ist ein wichtiger Baustein zur nachhaltigen Stadtentwicklung und Nachverdichtung. Primär eignet sich das Konzept für Großstädte, jedoch ist auch das Potential in mittelgroßen Städten mit hohem Wohnraumbedarf nicht zu unterschätzen.

Das Baurecht bietet einen vielfältigen Baukasten, um „Wohnen auf dem Supermarkt“ oder vergleichbare Projekte zur Aktivierung von Flächenpotenzialen zu ermöglichen. Ob und innerhalb welches zeitlichen Rahmens die Umsetzung derartiger Vorhaben möglich ist, hängt allerdings häufig vom Willen und der Bereitschaft der jeweiligen Gemeinde ab. In jedem Fall lohnt eine genau Analyse der bauplanungsrechtlichen Rahmenbedingungen, um zu ermitteln, für welche Maßnahmen bereits ein Genehmigungsanspruch besteht und welche weiteren Maßnahmen im Wege der Befreiung oder Bauleitplanung in Kooperation mit den Behörden ermöglicht werden können.

Der Autor
Dr. Jan Hennig
Partner