Der Autor
Philipp NothdurftTeam Leader Retail Leasing, JLL München/Stuttgart
Es geht um die Kernfrage: Kann sich stationärer Handel in Zeiten des Internets behaupten und eine Zukunftsstrategie finden, die die Innenstädte weiterhin zum Magneten für Konsumenten macht? Die Versuchsanordnung in Stuttgart ist nicht gerade einfach. Binnen weniger Jahre hat sich die jahrzehntelang sehr moderat wachsende Zahl der Geschäfte in den Haupteinkaufszonen mehr als verdreifacht – die Shopping-Center Milaneo, Gerber und das DorotheenQuartier haben den Markt mächtig aufgewirbelt, die Laufwege verändert und die Verhandlungspositionen von Eigentümern und Nutzern förmlich auf den Kopf gestellt.
Lange war Stuttgart ein klassischer Vermietermarkt, denn die Flächen waren begrenzt, die Kaufkraft in Stadt und Umland gehört zu den höchsten in Deutschland und wer Verkaufsflächen angemietet hatte, der wollte sie halten. Entsprechend gering war in vielen Quartalen der Flächenumsatz in der Vermietung. Mit dem bundesweit einmaligen Flächenzuwachs der jüngsten Vergangenheit ist der Markt in Stuttgart in Bewegung gekommen. Und dann gibt es da noch einen weiteren Grund: stark verändertes Kundenverhalten durch das Internet.
Mittlerweile ist spürbar, dass immer mehr Händler und Ketten – längst nicht nur große – Omni-Channel-Strategien umzusetzen versuchen, um den Kontakt zu ihren Kunden nicht zu verlieren. Konkret kann das bedeuten, das Gros der Waren wird online angeboten, während die stationären Läden stärker zu Showrooms für ausgesuchte Produkte und das besondere Kauferlebnis werden. Viele Kunden zieht es nicht mehr in die Städte, um sich die Einkaufstüten voll zu machen, sondern um Qualität, Genuss und auch Unterhaltung beim Einkauf zu erleben. Also Kriterien, die der Einkauf im Netz bei allem Komfort nicht bieten kann.
Verlässliche Konstante in der Stadt sind noch die Bereiche auf der Königstraße vom Schlossplatz bis Ecke Stiftstraße und weiter bis zur Sporerstraße. Abseits davon erlebt Stuttgart diesen Wandel in fast allen Lagen in verschiedenem Ausmaß. Dort zeigt sich auch der Wechsel, den der Handel seit wenigen Jahren bundesweit erlebt: Der frühere Primus Textilhandel gibt mit jedem Quartal mehr Anteile bei der Neuanmietung von Flächen ab, während die Gastronomie und auch die Sparte Gesundheit/Beauty konstant hohe Anteil von je bis zu 20 Prozent erzielt. Das zeigt sich beispielsweise am Wandel in der Calwerstraße, von einer Kauf- zu einer Gastromeile und damit zu einem wichtigen Beitrag für die Aufenthaltsqualität in der Stadt.
Trotz der beschriebenen Umbrüche hat der Stuttgarter Innenstadthandel mittelfristig weiterhin eine gute Perspektive: In den absoluten Toplagen sind nur fünf Prozent der Fläche verfügbar. Das heißt, ihre Nutzung über die kommenden 18 Monate hinaus ist noch nicht festgelegt, weil beispielsweise ein Nutzer gesucht oder die Fläche noch entwickelt wird. Das spricht auch im bundesweiten Vergleich für eine sehr große Nachfrage.
Bei der Anzahl der Geschäfte sind es hingegen zwölf Prozent. Das ist bundesweit ein vergleichsweise hoher/schlechter Wert, doch heißt das im Umkehrschluss auch, dass vor allem kleinere Geschäfte verfügbar sind, was für eine Stadt wie Stuttgart kein größeres Problem ist. Denn gerade kleinere Flächen, am besten nur im Erdgeschoss gebündelt, sind am stärksten gefragt und erzeugen gute Nachfrage. Stuttgart hat also beste Voraussetzungen, sich als moderne und innovative Einkaufsstadt auch im Umbruch zu behaupten, wenn es gelingt, mit dem richtigen Angebotsmix das nachhaltige Kauferlebnis zu stärken.