07.09.2018
Christopher Wunderlich

Handels-Dialog Hessen

Hessens Großstädte: Magnet für Retailer und Kunden

Was für Deutschland gilt, gilt auch für die hessischen Großstädte Frankfurt, Wiesbaden und Darmstadt: Auf dem Einzelhandelsmarkt ist die Grundstimmung positiv – trotz der Umbrüche, die den Handel noch immer beschäftigen.

Die Nachfrage nach Flächen in den A-Lagen ist groß. Ladenflächen in der Frankfurter City sind beispielsweise so begehrt wie an kaum einem anderen deutschen Standort. Im 1. Halbjahr 2018 wurden über 6.000 m² Retail-Fläche neu vergeben sowie rund 20 Vermietungen und Eröffnungen in den Citylagen der Mainmetropole registriert. Zum Vergleich: Ein Jahr zuvor fiel der Flächenumsatz um 41 % niedriger aus, und es flossen gut 15 Shops in die Analyse ein.

Neu in der Frankfurter Einzelhandelslandschaft sind seit Kurzem unter anderem das Schweizer Modelabel Nile und der Schmuckhersteller Niessing, und perspektivisch wird die Drogeriemarktkette Müller Ladenflächen in Stadteillagen anmieten. Die Gründe für die Attraktivität Frankfurts aus Retailer-Sicht: das Einwohnerwachstum, steigende Übernachtungszahlen, die überdurchschnittliche Kaufkraft und das hohe Passantenaufkommen. Hinzu kommt die Aussicht, dass auch aufgrund des Brexit die Bevölkerung Frankfurts weiter steigt – und aus einer höheren Einwohnerzahl resultiert ein größeres Kundenpotenzial.

Mehr Gastronomie in den Citylagen

Besonders die Gastronomie ist an Läden in den Citylagen hessischer Städte interessiert. Neue Gastro-Konzepte drängen immer stärker in die Innenstädte und ergänzen den klassischen Einzelhandel um vielfältige kulinarische Angebote. In Frankfurt kam sogar einer der größten Retail-Abschlüsse des ersten Halbjahrs in den A-Lagen der Gastronomiebranche zugute: Das Restaurant Canvas eröffnete auf der Fressgass. Damit hat sich nach langer Zeit, in der überwiegend Textiler in dieser Lage mieteten, wieder ein Gastronomiebetrieb hier angesiedelt. Auch Wiesbadens Innenstadt ist bei Lebensmittlern sehr beliebt. Die beiden regionalen Weinanbieter trinKultur am Michelsberg und Vicampo mieteten im 1. Halbjahr 2018 Shops in der kleinen Kirchgasse.

Passantenzahlen: Zeil auf Platz 3, Kirchgasse auf Rang 9

In vielen hessischen Innenstädten wird nach wie vor gerne geshoppt. Sowohl Frankfurt als auch Wiesbaden kommen in der aktuellen Passantenfrequenz-Analyse von BNP Paribas Real Estate unter die Top 10. Am häufigsten besucht wird noch immer die Zeil: Pro Stunde flanieren 10.400 Passanten über die beliebte Einkaufsmeile – dieser Wert bedeutet Rang 3 unter den bundesweiten Top-95-Standorten. Nur in der Münchener Kaufingerstraße und der Kölner Schildergasse war noch etwas mehr los. Bis auf die Biebergasse, die mit 5.500 Personen Rang 24 erreicht, sind die übrigen Standorte der Innenstadt vorwiegend im bundesweiten Mittelfeld aufgestellt: die Große Bockenheimer Straße (4.300 Passanten) auf Platz 51, die Kaiserstraße/Roßmarkt (3.900 Passanten) auf Platz 58 und die Neue Kräme (3.800 Passanten) auf Platz 60. Die Niveau- bzw. Luxuslagen Steinweg (Rang 76) und Goethestraße (Rang 80) sind durch die Ausrichtung auf Zielkundschaft traditionell etwas weniger belebt.

Auch in die Wiesbadener City zieht es viele Passanten. Sie schätzen besonders das vielfältige Angebot der innerstädtischen Shoppingmeilen, die von der klassischen Konsumlage mit einem hohen Anteil namhafter Filialisten über abwechslungsreiche, individuelle und inhabergeführte Boutiquen bis hin zur repräsentativen Luxuslage für jeden etwas zu bieten haben. Am beliebtesten ist die Kirchgasse, die mit 7.280 Passanten pro Stunde Platz 9 im bundesweiten Städteranking belegt und damit zum ersten Mal in die Top 10 klettert – ein Sprung um 23 Plätze im Vergleich zu 2014. In der Kategorie Städte bis 500.000 Einwohner bedeutet diese Zahl sogar Platz 1. Damit hat die Kirchgasse ihre Besucherzahl aus dem Vorjahr in etwa bestätigt. Gleiches gilt für die Langgasse mit 4.318 (Platz 50) und die Marktstraße mit 2.244 (Platz 82). Dies belegt die Beliebtheit der Innenstadt. Die Anmietungen der Modelabel Only (Kirchgasse), Oui und Stella (beide auf der Wilhelmstraße) sind neue attraktive Anlaufpunkte für Shoppingbegeisterte in Wiesbaden.

Mietpreise variieren

Beim Mietniveau gibt es deutliche Unterschiede zwischen Frankfurt und Wiesbaden. Die Mainmetropole spielt in der Champions League: Mit der Zeil, auf der 300 €/m², und der Goethestraße, für die bei „echter Verfügbarkeit“ 280 €/m² anzusetzen sind, gehören gleich zwei Lagen den Top 10 der teuersten Lagen an. Positiv, jedoch auf deutlich niedrigerem Niveau, entwickelte sich die Miete in der aufstrebenden Kaiserstraße: Hier ist die Spitzenmiete um 4 % auf 125 €/m² gestiegen. Gerade diese Lage dürfte perspektivisch von den umliegenden Entwicklungen und den neuen Laufbeziehungen profitieren. Auf der Fressgass müssen Retailer nach wie vor mit einer hohen Top-Miete von bis zu 240 €/m² für ihre Läden rechnen.

In Wiesbaden hat die Spitzenmiete trotz der erfreulichen Nachfrage und den guten Passantenzahlen leicht (um 5 €/m²) nachgegeben – auch in der teuersten Lage, der Kirchgasse (135 €/m²). Gleiches gilt für die Markt- und Wilhelmstraße (60 €/m² bzw. 45 €/m²). In der Langgasse ist die Top-Miete zuletzt stabil geblieben und liegt bei 70 €/m². Viele Eigentümer sind zunehmend bestrebt, ihre Mieter frühzeitig und längerfristig an ihre Flächen zu binden und senken daher vereinzelt die Ladenmieten. Grund dafür ist unter anderem, dass in der Innenstadt zuletzt mehrere Projekte angestoßen wurden, die der Stadt Wiesbaden positive Impulse verleihen und gleichzeitig das Shop-Angebot ausweiten dürften. Durch die Entwicklung der City Passage in der Kirchgasse ist beispielsweise perspektivisch mit neuen Ladenflächen zu rechnen. Darüber hinaus werden in der Kirchgasse an zwei weiteren Stellen Gebäude saniert und die Flächen beispielsweise durch Zusammenlegung nachfragegerecht und zukunftsfähig gestaltet.

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Der Autor
Christopher Wunderlich
Director Retail Advisory
BNP Paribas Real Estate