23.08.2018
Sun Jensch

Gute Ansätze in Hamburg

Infrastruktur als Teil der Quartiers- und Stadtentwicklung

Stadtentwicklung soll den Einwohnern ein Wohnumfeld schaffen, das ein gesundes Leben und soziale Einbindung ermöglicht, sowie gesamtgesellschaftliche Ziele vorantreiben. Die Verkehrsinfrastruktur betrifft beide Aspekte.

Verbrennungsmotoren gefährden durch Schadstoffemissionen die Gesundheit der Anwohner und tragen zum CO2-Ausstoß und damit zum Klimawandel bei. Gezielte Maßnahmen können den Weg für eine zukunftsgerichtete Mobilität bereiten, die den optimalen Mix aus verschiedenen Verkehrsmitteln mit vorausschauender Wohnbaupolitik verbindet. Hamburg hat mögliche Ansätze entwickelt.

Seit 2010 ist Hamburg Modellregion für E-Mobilität. Dazu stellen Behörden und ÖPNV ihre Fahrzeugflotten sukzessive auf Elektromotoren um. Noch wichtiger sind die Infrastrukturmaßnahmen: der Ausbau des Ladestationsnetzes, eine Quartiersplanung, die dafür sorgt, dass möglichst viele Wege ohne Auto erledigt werden können, sowie die Förderung der Kombination unterschiedlicher Verkehrsmittel. Für letztere steht vor allem das Pilotprojekt Switchh. Diese App Switchh des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) dient als Kompass für vernetzte Mobilität: Die Suchfunktion integriert das HVV-Streckennetz mit den Car- und Bikesharing-Angeboten von Partnerunternehmen. Auf der Umgebungskarte sind deren Standorte ebenso eingezeichnet wie die HVV-Stationen. Freiminuten bei den Sharing-Partnern und speziell für Switchh-Kunden reservierte Parkplätze erhöhen den Anreiz, das System zu nutzen und auf den Privat-Pkw zu verzichten.

Das Gesamtprojekt geht allerdings noch weiter. Die Stadt der Zukunft ist eine Stadt der kurzen Wege – hier kommt auch die Immobilienbranche ins Spiel. Je näher tägliche Ziele liegen, desto seltener ist ein Pkw nötig. Eine kluge Kombination aus Nachverdichtung, der Integration von Einzelhandelsflächen in Wohnvierteln und dem Mitdenken von Carsharing bei der Wohnbau- und Anwohnerparkplatzplanung sorgt dafür, dass mehr Strecken zu Fuß oder per Fahrrad zurückgelegt werden, während für weitere Entfernungen ÖPNV und Carsharing in unmittelbarer Nähe warten. Für größere Transporte stehen Lastenfahrzeuge bereit. Das vermeidet Autoverkehr und macht Sharing attraktiver als Privat-Pkws, mit vielen Vorteilen: Weniger Verbrennungsmotoren im Einsatz heißt weniger Schadstoffe – gut für Gesundheit und Klima. Der ebenso unangenehme Verkehrslärm wird reduziert. Weniger parkende Autos machen das Straßenbild attraktiver. Bei Neu- und Umbauprojekten kann mit intelligenten Konzepten Verdichtung noch einmal neu gedacht und urbaner Raum neu gestaltet werden. Denn kompakte Siedlungsstrukturen, in denen Geschäfte des täglichen Bedarfs schnell erreichbar sind, sparen Zeit und erhöhen die Lebensqualität.

Durch diese Neuausrichtung werden zudem Flächen zur Umnutzung frei – aus Fahrspuren werden Stellplätze für Räder, ÖPNV und Sharing-Fahrzeuge. Größere Flächen können dem Verkehr entzogen und den Anwohnern zur Verfügung gestellt werden. So entstehen neue Grünflächen und Grundstücke für die bauliche Nachverdichtung. Das schafft zusätzlichen Wohnraum.

Hamburger Pilotprojekte bringen Immobilien- und Mobilitätsunternehmen zusammen: In diesen e-Quartieren werden Carsharing-Angebote mit Elektrofahrzeugen in Wohnquartiere integriert, teils mit eigenen Carpools für die Bewohner. Die Mieter- und Wohnbaugenossenschaft der Gartenstadt Farmsen kooperiert etwa mit dem stationsbasierten Carsharing-Anbieter cambio: Dieser richtete eine Station auf dem Gelände der Gartenstadt ein, was die Parkplatzsituation verbessert und das Mobilitätskonzept der Genossenschaft unterstützt. Im Gegenzug erhält cambio eine Umsatzgarantie und Fläche für seine Station.

Ein weiteres Modellprojekt entstand in der HafenCity: Das Dock 71, auf dem 58 Wohnungen, eine Kita sowie diverse Gewerbeeinheiten errichtet wurden, hat bereits in der Planungsphase ein Mobilitätskonzept entwickelt und umgesetzt, das autoarmes Wohnen bei individueller Bewegungsfreiheit der Anwohner ermöglicht. Dazu kombiniert das Projekt die Kooperation mit einem Carsharing-Unternehmen, abschließbare Fahrradstellplätze, ein vergünstigtes HVV-Ticket, Anschlüsse für Elektrofahrzeuge und eine Fahrradwerkstatt auf dem Gelände. Eigene Pkw- und E-Bike-Pools sowie regelmäßige Veranstaltungen zum Thema Alternative Mobilität sollen gemeinsam mit den Bewohnern entwickelt werden. Die dauerhafte Finanzierung wird durch die Mieteinnahmen aus der gemeinschaftlichen Tiefgarage ohne Teileigentum und Sondernutzungsrechte gesichert.

Die Akzeptanz ist hoch, dank der Einbindung der Bewohner und einem Fokus auf sozialverträgliche Preise. Da die Pilotprojekte wissenschaftlich begleitet werden, werden zudem empirische Daten zu E-Mobilität und zukunftsfähigen Verkehrskonzepten gesammelt, die andere Städte ebenso wie Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen nützen. Zum ITS-Weltkongresses 2021 in Hamburg will die Metropole sich als Vorreiter und Modellstadt für „Intelligent Transport Systems“ präsentieren.

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Die Autorin
Sun Jensch
Bundesgeschäftsführerin
Immobilienverband Deutschland IVD Bundesverband der Immobilienberater, Makler, Verwalter und Sachverständigen e.V.