13.04.2018
Uwe Bethge

Anwälte sind ausgestorben, es lebe Legal Tech!

Legal Tech – „The End of Lawyers?“

Führen Computer und Software wirklich zu einem Aussterben des anwaltlichen Berufstandes? Oder handelt es sich nur um einen Hype, der auf sämtlichen Ebenen durch die Anwaltszunft geistert?

Das Phänomen „Maschine-ersetzt-Mensch“ ist wahrhaftig kein Neues. Allein der Blick über den juristischen Tellerrand in Richtung Industriesektor macht deutlich, dass Digitalisierung menschliches Handeln in vielen Belangen obsolet macht. Ob der Supercomputer Watson (IBM) in naher Zukunft aber selbständig hochkomplexe Rechtsprobleme löst und gleichzeitig eine exzellente Beratungsleistung liefert, bleibt äußerst fraglich. Der 6. Juristische Jahresgipfel nimmt die rasante Entwicklung von Legal Tech zum Anlass, um sich über Potentiale und Grenzen der Digitalisierung des Rechtsmarktes auszutauschen.

 

Was ist Legal Tech?

Über Legal Tech (Legal Technology) herrscht kein einheitliches Begriffsverständnis. Allgemein kann Legal Tech als „Sammelsurium“ für sämtliche im juristischen Bereich nutzbare Software verstanden werden. Die wohl gängigste Einteilung geht auf Goodenough zurück, der zwischen Legal Tech 1.0-, 2.0- und 3.0-Anwendungen unterscheidet:

Legal Tech 1.0 unterstützt den Anwalt in seiner herkömmlichen Arbeit. Hierunter fallen etwa Software zur Büroorganisation oder Fachdatenbanken. Fraglich ist, ob man diesen Bereich überhaupt unter den Begriff Legal Tech fasst, wenn man bedenkt, dass derartige Office-Software in nahezu allen Kanzleien seit Jahren verwendet wird. Zu den Legal Tech 2.0-Diensten (substantive law solutions) zählen automatisierte Rechtsdienstleistungen, wie die selbständige Dokumenten- und Schriftsatzerstellung oder die Durchsetzung von Ansprüchen. Diese Dienstleistungen ersetzen also einzelne Arbeits- und Kommunikationsschritte des Anwalts in einem begrenzten Bereich. Sie haben deshalb bereits jetzt disruptive Wirkung auf den Rechtsdienstleistungsmarkt. Legal Tech 3.0-Anwendungen gehen noch einen ganzen Schritt weiter. So sollen Smart Contracts, der Einsatz künstlicher Intelligenz oder Blockchain juristische Dienstleistungen vollständig ersetzen. Allerdings ist dieses Feld in seiner Anwendung noch weitestgehend eingeschränkt. Insofern ist der Hype um diese Technologien aufgrund ihrer theoretischen Möglichkeiten vielleicht berechtigt, die Praxis sieht derzeit jedoch anders aus.

 

Blockchain: Sind Grundbuch und Notar überflüssig?

Spätestens seit der Krypto-Währung Bitcoin ist Blockchain in aller Munde. Besonders im Bereich Immobilientransaktionen wird der Blockchain ein enormes Potential prophezeit. Eindrucksvoll ist etwa ein Pilotprojekt in Schweden und Indien. Hier wurde die gesamte Wertschöpfungskette einer Transaktion auf Blockchain abgebildet. Die Dauer einer Transaktion wurde von rund vier Monaten auf wenige Tage reduziert. Trotzdem ist die Blockchain keine Konkurrenz für Grundbuch und Notar in Deutschland. Es fehlt dieser Technologie schlichtweg an der Fähigkeit, Transaktionsprozesse vollständig zu automatisieren. Denn erstens ist die Abbildung eines Immobilienkaufs auf der Blockchain für die Eigentumsübertragung unzureichend. Und zweitens hebelt Blockchain wesentliche Mechanismen etwa zum Schutz vor schädlichen Verträgen aus, die das notarielle System in hervorragender Weise leistet.

 

Wie wirkt sich Legal Tech auf das Geschäftsfeld von Kanzleien aus?

Die Auswirkungen von Legal Tech sind aufgrund ihrer Mehrdimensionalität schwer abzuschätzen. Generell dient Legal Tech der Erbringung einer kosteneffizienten Dienstleistung gegenüber den Mandanten. Gleichzeitig verspricht dieses Instrument ein erhöhtes Maß an Qualitätssicherung und –steigerung. Maschinen machen keine Fehler, nur Menschen. In Zukunft wird es daher entscheidend darauf ankommen, dass Anwälte juristische und technische Kenntnisse gleichermaßen verbinden. Auch Vergütungsmodelle werden betroffen sein. Dies gilt vor allem für Kanzleien, die nach Zeiteinheiten (Billable Hours) abrechnen. Denn der Kostenaufwand gegenüber dem Mandant wird mit Einsatz von Legal Tech, etwa bei einer Due-Dilligence-Prüfung, deutlich geringer ausfallen. Zudem treten Legal Tech-Unternehmen in diesem Bereich verstärkt zu den Kanzleien in Konkurrenz. Das Eingehen von Kooperationen mit diesen Unternehmen wäre eine Möglichkeit, an der Entwicklung mitzuwirken und am Rechtsmarkt weiter zu bestehen. Wenn er Legal Tech als Notwendigkeit und Chance erkennt wird der Anwalt nicht aussterben. Sein Selbstverständnis wird aber durch Legal Tech ein anderes sein.

Der Autor
Uwe Bethge
Rechtsanwalt und Notar
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