26.10.2017
Jan Lerch

Wachstumsschmerzen einer Hauptstadt

"Wir wollen gar nicht groß werden!"

Berlin ist in den letzten Jahren stark gewachsen, leere Wohnungen gibt es nicht mehr, gebaut wird immer noch viel zu wenig. Auch sonst Berlin ächzt allenthalben, und es stellt sich immer dringlicher die Frage, will die Hauptstadt überhaupt wachsen?

20 Jahre war der Hauptstadtboom immer nur Verheißung und nicht Realität. In den letzten Jahren schien sich dies zu ändern. Die Sexiness Berlins hatte sich herumgesprochen, und plötzlich gab es einen regelrechten Run auf Berlin. Die Studenten kamen, erst die deutschen, dann die südeuropäischen und die coolen american kids, die sich New York nicht leisten konnten und überall verkündeten, wie uber-awesome Neukölln ist. Die Billiglöhner aus Rumänien und Bulgarien kamen ebenfalls und, klar, die Flüchtlinge. In wenigen Jahren stockte sich Berlin um eine Großstadt wie Bielefeld auf, überall drehen sich Kräne, Baulücken gibt es immer weniger, das Wirtschaftswachstum war doppelt so stark wie im Rest des Landes, die Arbeitslosigkeit halbiert. Ja! Da geht was! Endlich (nicht mehr nur sexy)!

Doch plötzlich brechen die Zahlen schon wieder ein. Das Berliner Wachstum war im ersten Halbjahr 2017 schon wieder da, wo es seit dem Mauerfall fast immer war, unter dem Bundesdurchschnitt. Bremen wuchs doppelt so stark. Bremen! Berlin ist zwar immer noch voller Baustellen, aber vielleicht wirkt das auch nur so mächtig gewaltig, weil hier vieles doppelt so lange braucht wie andernorts. Ein Dax-Unternehmen gibt es immer noch nicht, in der Hauptstadt des ökonomisch stärksten Landes der EU! Nun ist auch noch die Fluggesellschaft mit unserem Namen weg und bei den Folgen, nämlich dass Lufthansa fortan ihre Drehkreuze in Frankfurt und München weiter stärkt, zeigt sich, die Berliner Malaise (Flughafen!) hat langfristige Folgen, und zwar sich selbst verstärkende!

Mit dem Wachstum ist es nämlich so eine Sache, es funktioniert eher nicht so eindimensional, wie Klein-Fritzchen es sich vorstellt. Ein Flughafen, der vor fünf Jahren eröffnet worden wäre, hätte mit den (damals) dynamischen Fluglinien Air Berlin, Easy Jet und Ryanair plus Berlin-Hype einen solchen Sog erzeugt, dass auch Lufthansa am neuen Drehkreuz nicht vorbeigekommen wäre. Doch dieses Fenster ist nun zu und Air Berlin ist, auch als Folge der Nichteröffnung des BER, tot – der erwartete Airport-Boom fällt deutlich kleiner aus, auch für die Immobilienwirtschaft. Das Bedenkliche ist: Missmanagement à la BER ist in dieser Stadt eher Regel als Ausnahme.

An Selbstbewusstsein mangelt es den Berlinern bekanntlich auch in Krisenzeiten nicht (Wowereit!). Von daher ist der Hype der letzten Jahre für viele Berliner eine Selbstverständlichkeit. Merkwürdig, dass er nicht viel eher eingesetzt hat und, logisch, das geht jetzt so weiter. Die Fragen: Warum eigentlich? Und: Müssen wir dafür nicht etwas tun?, stellt sich in Berlin kaum jemand. Schlimmer noch: Alle tun alles, um sich diesem Wachstum muffelig entgegenzustellen und gehen gleichzeitig fest davon aus, dass sogar das diesem Berlin-ist-der-Nabel-der-Welt-Naturgesetz nichts anhaben kann.

Dabei hätte Berlin jetzt die Chance, der jahrzehntelang gepflegten öffentlichen Alimentierung zu entwachsen. Dafür müssten aber u.a. Wohnungen her, denn schon jetzt können Unternehmen nicht mehr richtig einstellen, weil potenzielle Mitarbeiter keine bezahlbare Bleibe finden. Aus den gleichen Gründen scheuen zunehmend Studenten (die künftigen High Potentials!) Berlin, denn die Kaltmieten sind seit 2010 um 70% gestiegen, von sechs auf elf Euro!

Es regiert die Wir-wollen-so-bleiben-wie-wir-sind-Mentalität. Groß werden ist nämlich mühsam: Es wird voller allenthalben, auch internationaler (Coffee, please!), teurer wird es auch. Kurz, es verändert sich was. Und das ist in der Stadt der Biotope, ob Kreuzberger Alternativ-Biotop, nobles Westend-Biotop oder Pankower Ex-SED-Biotop, nicht sonderlich beliebt. Bis in die Spitzen der Verwaltung spürt man: Zuviel Weltstadt muss vielleicht doch nicht sein.

Einverstanden, Berlin ist toll. Aber ist Berlin nicht auch die Stadt, die sich immer neu erfindet? Ein Ort, der wirklich frei ist, auch in dem Sinne, dass keiner weiß, was morgen geschieht? Jedenfalls sicher nicht das, was gestern war. Warum also daher nicht – embrace the future! - versuchen, den Tiger Wachstum zu reiten: Ja, Neues schaffen, ohne Brooklyn zu kopieren. Ja, Bauen ist ok, aber fair! Ja, Veränderung darf sein, doch der Berliner Mix muss bleiben!

Wir bauen als Kilian-Gruppe (KIM-Group) mit den Pepitahöfen gerade das größte reine Mietwohnungsbauprojekt in Berlin, 1024 Wohnungen mit einer Durchschnittsmiete von unter 10€. Weitere Projekte dieser Art, die der Berliner Wohnungsmarkt neben seinen überall sprießenden teuren Eigentumswohnungen dringend braucht, sind in der Pipeline. Doch die Widerstände wachsen, selbst bei den besten, sozial verträglichsten Bauprojekten. Jede noch so hässliche Brache hat einen größeren Fanclub! Dabei passt weniger zu Berlin, als die bloße Bewahrung des Status quo.

Hier muss die Berliner Politik mutig vorangehen, mit einem klaren, verbindlichen Wachstumsplan – und nicht nur mit immer neuen Gesprächskreisen. Die Gefahr besteht, das Momentum zu verpassen. Denn der aktuelle Hype bringt Geld in die Stadt und gibt den Spielraum, die Projekte besser zu machen, attraktiver, sozial-verträglicher, kurz berlinerischer. Berlin ist Berlin, weil es nicht so ist wie andere Städte. Das soll so bleiben. Aber: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.

Der Autor
Jan Lerch
Head of Development
Kilian-Immobiliengruppe / KIM-Group