Mit der Verknappung von Flächen einher geht ein Wandel in der Erwartungshaltung der Unternehmen an Arbeitsräume. Zum einen bedingt der Flächenmangel den sorgsameren Umgang mit der Ressource Raum – die Zeiten des „anything goes“, wo riesige, leere Loftflächen alter Gewerbehöfe dank günstiger Mietpreise einluden, geradezu verschwenderisch mit den Quadratmetern umzugehen, sind vorbei. Zum anderen stellen Mitarbeiter andere Anforderungen an ihren Arbeitsplatz als früher. Stichworte wie „flexibles Arbeiten“,„mobiler Arbeitsplatz“ oder „new working“ haben großen Einfluss auf die Arbeitgeberwahl.
Ein weiterer Grund für die Flächenknappheit ist die Suche der Unternehmen nach besonderen Räumen, nämlich solchen, die für die ebenfalls knapper werdenden, hochspezialisierten Fachkräfte attraktiv sind. Sie haben erkannt, dass ein reizvolles Arbeitsumfeld zum Wettbewerbsvorteil werden kann. Innovative Firmen wie Google oder Apple haben es vorgemacht und Maßstäbe gesetzt. Sie haben Orte geschaffen, die ihre Mitarbeiter inspirieren, wo diese individuell und flexibel, ihren Anforderungen entsprechend arbeiten können. Sie haben das professionalisiert, was Graswurzel-Co-Working-Spaces wie z.B. Beta-Haus in Berlin mit einfachen Mitteln erschaffen haben: Orte der zufälligen oder gewollten Begegnung, Orte an den man netzwerken, an denen man sich austauschen, wo man gemeinsam an Ideen spinnen kann. Collaboration heißt das neue Zauberwort: Die Idee, das Gefühl, dass gute Ergebnisse vor allem durch die Zusammenarbeit von vielen entstehen.
Der international bekannte Vordenker Jeremy Rifkin, Gründer und Vorsitzender der Foundation of Economic Trends in Washington, vertritt die These, dass bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts „die Metarmorphose von der industriellen zu einer kollaborativen Revolution“ eintritt und dies einen großen „Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte“ einläuten wird. Er nennt es die dritte industrielle Revolution, in der die klassischen Arbeitsformen, wie wir sie heute kennen, durch hoch technologische Innovationen ersetzt werden. Die verbleibenden „Arbeiter“ von morgen arbeiten in dezentralen, kollaborativen Strukturen, geprägt durch den Gedanken der Zusammenarbeit und der digitalen Interaktion.
Bereits heute sehen sich die alteingesessenen Unternehmen durch junge, innovative Firmen herausgefordert, die genau so arbeiten. Es findet ein strukturelles Umdenken statt, in dem nicht mehr die hierarchische Unternehmenspyramide sondern eine demokratischere, breiter aufgestellte Form der Unternehmenskultur zum Leitbild wird.
Diese Entwicklung findet ihren Widerhall nicht nur in einer veränderten Raumgestaltung, sondern vor allem im Vermietungsprozess, an dessen Ende die gewünschte, kollaborativ-orientierte Arbeitswelt stehen soll. Da es für diese individuellen Ergebnisse keine Standardkataloge gibt, könnte sich auch die Rolle des Vermieters grundlegend ändern.
Seit Herbst 2015 begleiten wir das Projekt Ullsteinhaus in Berlin-Tempelhof. Das heterogene Areal, das aus dem alten, denkmalgeschützten Druckhaus und neueren Erweiterungsbauten besteht, liegt zwar verkehrsgünstig, aber nicht zentral. Die Lage eignete sich nicht als Selling Point. Um den Standort auch längerfristig erfolgreich zu revitalisieren, wurde er als ein Campus für Technologie- und Medienunternehmen unter der Leitidee, die Zukunft des Arbeitens abbilden zu wollen, neu positioniert.
Eine Zielgruppe also, deren Unternehmenskultur und Arbeitsformen genau den oben genannten Attributen entspricht. In ihrer Ansprache haben wir in den vergangenen zwei Jahren wiederholt die Erfahrung gemacht, dass Unternehmen beim Bezug neuer Flächen selbst meist keine konkrete Vorstellung von der Raumgestaltung haben. Sie haben zwar ein Verständnis dafür, dass Räume mehr sind, als nur Fläche, Farbe, Wände und Nutzungsparameter, wissen aber nicht wie sie die Räume gestalten müssen, um ihre Arbeitsprozesse abzubilden. Klassische Bemusterungskataloge führen hier nicht zum gewünschten Erfolg (und vor allem nicht zum Mietabschluss). Der Vermieter hat hier die Chance, dem potentiellen Mieter seine Expertise zur Verfügung zu stellen und mit ihm gemeinsam individuelle Arbeitswelten zu entwickeln. Er nimmt eher die Rolle eines Experten, eines Coachs für seine Mieter ein. Dabei muss er die spezifischen Wünsche der Mieter genauso berücksichtigen wie die Drittverwendungsfähigkeit der Flächen.
Wir haben hierfür einen mehrstufigen, kollaborativen Beratungsprozess entwickelt, in dem die potenziellen Mieter in die Entwicklung ihrer individuellen Arbeitslandschaften einbezogen werden. Am Anfang steht der Abgleich mit den Wünschen und den funktionellen Anforderungen des Mieters. Welche Bilder haben sie im Kopf? Wie arbeiten ihre Mitarbeiter? Was ist das richtige Maß an Zusammenarbeit und an Rückzugsflächen? Wie und wo finden Meetings statt? Welche Arten des „geselligen“ Zusammentreffens soll es geben? Ist der Kicker wirklich der beste Ort, um innovative Ideen zu spinnen? Die Ergebnisse bilden die Basis für die Entwicklung räumlicher Prototypen, aus denen die individuelle Arbeitswelt entsteht, die schlussendlich umgesetzt wird. Auf diese Weise wird das Büro nicht nur Arbeitsplatz sondern identitätsstiftender und produktiver Ort.
Einer der ersten Mieter, mit dem wir zusammen diesen Weg gegangen sind, ist Hella Aglaia Mobile Vision GmbH, ein Unternehmen für innovative Entwicklung von Licht und Elektronik im Automotive-Bereich. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Vermieter und Mieter konnte eine individuell angepasste Arbeitswelt geschaffen werden. Mitte Juli bezog das Unternehmen 9.000 Quadratmeter im Ullsteinhaus.