03.03.2017
Ir. Reimar von Meding

Kommen die Gebäude der Zukunft aus der Fabrik?

Quo Vadis Bau?

Es gibt im Bau einen deutlichen Trend, weg von der Akzeptanz von komplizierten Prozessen, hin zu schnellerem und besserem Bauen. Ir. Reimar von Meding fasst die wichtigsten Aussagen beim QUO VADIS 2017 zusammen.

Es gibt im Bau einen deutlichen Trend, weg von der Akzeptanz von komplizierten Prozessen, hin zu schnellerem und besserem Bauen. Aber wird es reichen, die heutigen Systeme mit ein bisschen Lean-management aufzupolieren? Oder wird es eine grundlegende Systemwende geben müssen? Auf der Quo Vadis 2017 in Berlin stand dies zur Diskussion. Mit einer überraschend politischen Note.

Keine Panik

Jeder kennt den klassischen Ärger beim Bauen: es gibt ständig Fehler und Abstimmungsprobleme. Man bekommt hinterher nie genau das, was man vorher bestellt hat. Und meist kostet es hinterher auch mehr, als vorher abgesprochen war. Das passiert dem Häuslebauer genauso wie dem Projektentwickler mit Großbaustelle. In keinem anderen Bereich unseres Lebens würden wir das akzeptieren. Leider kann man es sich scheinbar leisten einfach so weiterzumachen. Wie Immobilienweise Prof. Dr. Feld auf der Quo Vadis darstellte, geht es der Immobilienbranche unwahrscheinlich gut. Bis hin zu der Stabilität von Hypotheken deutet auch nichts auf eine Blase hin. Vor diesem Hintergrund könnte man sagen: keine Panik, bloß nichts ändern, es läuft doch.

Besser

Aber es wird sich etwas ändern müssen. Wir werden es uns nicht länger leisten können, Gebäude zu erstellen, die beim Bau und in der Nutzungsphase noch CO2 verbrauchen. Wir werden uns grundlegend überlegen müssen, ob die immer intensivere Nutzung der Stadt funktioniert, wenn diese damit auch immer exklusiver wird. Und wir werden uns darüber klarwerden müssen, dass nicht die Neuerstellung von Gebäuden, sondern der Umgang mit dem Bestand die Aufgabe der nahen Zukunft ist. Der erste, der hierin keine Probleme sondern Chancen sieht, wird ganz neue Potenziale erschließen.

Industrialisieren

Matthias Schmidt von CA Immobilienanlagen AG sagte in der Diskussion prägnant: „Jeder Bau ist letztendlich immer wieder ein Prototyp“. Sogar für ein so großen Unternehmen ist klar: wenn wir immer wieder alles auf jeder Baustelle neu erfinden, wird sich wenig weiterentwickeln. Eine exponentielle Evolution wird es jedenfalls nicht geben. In allen anderen Bereichen – ob es jetzt um Mobilität, Datenverarbeitung, Möbel oder Nahrungsmittel geht – sinken im letzten Jahrhundert die Preise und steigt die Qualität. Aber im Bau ist der Trend genau umgekehrt. Dies ist der Grund, warum Norbert Haug sagt: wir müssen Bauen anders denken. Haug war jahrelang erfolgreicher Sportchef von Mercedes. Als Quereinsteiger von der Mobilie zur Immobilie zieht er vorsichtige Parallelen. Ihm ist die Qualität dessen, was gebaut wird, ein Dorn im Auge. Er ist davon überzeugt, dass industrialisiertes Bauen nach modularem Prinzip hier Lösungsansätze bietet.

Wird es langweilig?

Die große Angst bei dieser Diskussion, ist die Einschränkung von Individualität durch industrialisierte Prozesse. Matthias Schmidt drückt das so aus: „Jedes Gebäude braucht eine Architektur, die auf den Ort eingeht.“ Aber ist dies durch Industrialisierung nicht mehr möglich? Norbert Haug vergleicht: „Im Autobereich ist inzwischen jedes Auto individuell auf Kundenwünsche abgestimmt. Die Zeit, in der 1 Typ hundertmal vom Band lief, ist vorbei.“ Durch innovative und digitalisierte Prozesse kann man ganz anders steuern. Dr. Matthias Jacob vom Bauunternehmen Wolff und Müller beschäftigt sich intensiv mit digitalisierten Prozessen: „BIM steht in Deutschland als integrales Arbeiten noch in den Kinderschuhen, öffnet aber große Möglichkeiten“. Das gilt für eine viel dynamischere Anpassung von Gebäuden. Aber auch für den immer wichtiger werdenden Umgang mit Daten.

Neue Geschäftsfelder

Dr. Jacob sieht große Veränderungen auf uns zukommen, auf die er Wolff und Müller vorbereitet. „Gebäude werden in Zukunft immer mehr Träger von Informationen und Diensten. Wer wirklich kapiert hat, dass Nachhaltigkeit mehr ist als ein Marketing-Trick, weiß, dass Gebäude in Zukunft als Rohstofflager dienen müssen“. Es geht also nicht mehr nur um Bau, sondern auch Rückbau, Änderung bis hin zu Rücknahme. Ganz neue Geschäftsmodelle tun sich auf. Wer erhebt das erste Raumpfand? Bei wem wird man in Zukunft nicht mieten oder kaufen können, sondern ein Nutzungsabo abschließen können?

Umgang mit dem Bestand

Matthias Schmidt bestätigt, dass für CA Immobilienanlagen ein viel kreativeres Angebot erwünscht wäre, mit dem Gebäude schnell und unkompliziert an die Wünsche von Nutzern angepasst werden könnten. Ein echter Mehrwert, wenn man in Zukunft keine Gipskartonwände rausbrechen müsste und eine halbe Baustelle braucht, um zum Beispiel Büroräume umbauen zu können. Die große Herausforderung ist also der Bestand.

Systemwechsel mit Sicht aufs Ganze

Das gilt auch für die Stadt als Ganzes. Auf der Quo Vadis wurde an vielen Stellen die Notwendigkeit betont, Quartiere und Stadtteile als Systeme zu betrachten, an die wir ganzheitlich herangehen müssen. Die Entwicklung der Stadt wird nicht funktionieren als Stapelung verschiedener Interessen und Regeln. So schlägt sich ein Bogen zur Eingangsrede von Bundestagspräsident Norbert Lammert. Er stellte eindrücklich dar, wie wichtig vernünftiges und klares Denken und Handeln werden wird. Und am Vergleich Brexit zeichnete er eindrucksvoll auf, dass die Aufgaben der Zukunft nicht mehr alleine gelöst werden können. Im Kleinen spiegelte sich dies an einer der Fragen aus dem Publikum zu einem praktischen Dilemma bei industrialisiertem Bauen: alles was man macht, muss nach lokalen Gesetzen und Ansprüchen entwickelt werden. Wie will man da denn jemals industriell und mit Sicht auf Wiederholung produzieren können? Dieser Frage hat sich in der Vergangenheit jeder gestellt, der große Schritte machen wollte. In anderen Bereichen wurde sie schon gelöst. Sonst würden wir Möbel jetzt noch beim örtlichen Tischler kaufen und könnten Produkte nicht in anderen Ländern hergestellt werden können. Es wird also tatsächlich ein strukturelles Umdenken geben müssen.

Evolution oder Revolution?

Norbert Haug glaubt bei diesen Prozessen nicht an Revolution. Er ist davon überzeugt, dass eine schnelle und intensive Evolution erfolgreich sein wird. Ein Prozess, der aber ganz ohne Disruptoren zu langsam gehen würde. Außenseiter, die etwas erreichen und die ersten Hürden nehmen. Ob diese Disruptoren aus dem Bau oder aus anderen Bereichen kommen werden, weiß noch niemand. Haug warnt aber: „Den ‚Nokia-Moment‘ kann es überall geben.“

Für diese intensive Evolution ist vielleicht die viel gescholtene Globalisierung ein Segen. Im Austausch mit anderen Kulturen und Systemen stellen sich die Ansätze in einer anderen Perspektive dar. So, wie das auf kultureller und biologischer Ebene schon lange funktioniert, kann es auch bei diesem Thema geben. Und manchmal liegen die Chancen gar nicht so weit weg. Auf der Quo Vadis ging es an verschiedenen Stellen um die deutsch-niederländischen Beziehung. Am prägnantesten zeichnete Coen van Oostroom van OVG in seinem Zweigespräch die Potentiale auf: Es gibt das – nicht ganz unwahre – Klischee, dass Niederländer das Experiment lieben, und Deutsche die gründliche, hundertprozentige Arbeit. In den Niederlanden wird schneller gehandelt und Neues ausprobiert. Manchmal auch mit Misserfolg. Aber selbst Norbert Haug sagte: „Wenn tolle, neue Sachen auf den Markt kommen, sehen Sie nie, wie oft sich dafür vorher einer auf die Klappe gelegt hat.“ Also: es braucht diesen Spielraum und Laboratorium, auch in der Stadt. Aber wie effektiv könnte so ein Spielraum genutzt werden, wenn er zusammenginge mit deutscher Präzision, Qualität und Genauigkeit. Das Zueinander Bringen dieser beiden Welten, geografisch gar nicht so weit auseinander, könnte so ein Schlüssel zu innovativen Entwicklungen werden. Ein wahrhaft europäischer Gedanke.


Ir. Reimar von Meding ist CEO von KAW Rotterdam, Groningen, Eindhoven. Das Architektur- und Beratungsbüro KAW beschäftigt sich mit integraler Konversion der Stadt, Wohnungsbau, Partizipation und innovativer Prozesserneuerung. Reimar von Meding hat auf der Quo Vadis 2017 die Diskussionsrunde geleitet mit dem Thema „Revolution im Bau – kommen die Gebäude der Zukunft aus der Fabrik?“

Das Event zum Thema
Der Autor
Ir. Reimar von Meding
Architekt und Partner
KAW Architekten