Entwicklungsgebiet "Alte Weberei" in Tübingen Lustnau-Süd

Von der Fabrikbrache zum lebendigen Stadtquartier

Mit der Alten Weberei ist auf einer – früher als nahezu unbebaubar eingeschätzten – Industriebrache mit Altlasten- und Hochwasserproblematik ein buntes und vielfältiges Stadtquartier für ca. 800 Menschen entstanden.

Arnold Pettera Uwe Wulfrath 2. August 2016

Das Quartier „Alte Weberei“ entstand auf dem ehemaligen Firmengelände der Frottierweberei Egeria im Tübinger Stadtteil Lustnau. Die Flächen wurden 2008/2009 von der städtischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH Tübingen (WIT) erworben und anschließend entwickelt (ca. 6 ha). Die Alte Weberei führte das „Tübinger Modell der Quartiersentwicklung“ (z.B. Französisches Viertel, Loretto, Mühlenviertel) fort:

  • gemischte urbane Quartiere auf Brachflächen
  • Projektentwicklung durch die Stadt
  • Vergabe der Grundstücke bevorzugt an Baugemeinschaften
  • Auswahl der Projekte nicht nach Höchstpreis, sondern zum Festpreis in einem „Wettbewerb der Konzepte und Ideen“

Den städtebaulichen Realisierungswettbewerb haben Hähnig/ Gemmeke Architekten und Fromm, Landschaftsarchitekt mit einem robusten städtebaulichen Konzept gewonnen, das Alt und Neu miteinander verknüpft. Im Zentrum des Quartiers befindet sich der Egeriaplatz mit dem ehemaligen Firmenhauptgebäude. In den Hofstrukturen haben viele Baugruppen individuelle Gebäude errichtet und miteinander die gemeinschaftlichen Innenhöfe geplant. Die Parzellen wurden auf den Bedarf der Projekte zugeschnitten. Durch die verdichtete Bebauung konnte die Brache in hohem Maße für die Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum genutzt werden. Nutzungsmischung und soziale Vielfalt sind wesentliche Bestandteile des neuen Quartiers. Sowohl für die Bewohner in der Umgebung als auch für die Zuziehenden wurden von Anfang an verschiedene Formen der Bürgerbeteiligung eingerichtet. Ein innovatives Energiekonzept nutzt die Wärme der nahe gelegenen Kläranlage.

Für die Neuordnung war es erforderlich, komplexe Lösungen für die Themen Hochwasser und Altlasten zu entwickeln und dabei die finanziellen Möglichkeiten der Stadt/ WIT nicht zu überfordern.

Auf dem früher überwiegend industriell genutzten Areal war neben den produktionsbedingten Altlasten auch eine Altablagerung mit unterschiedlichen Belastungen im ehemaligen Flussbett und der Uferzone des Neckars vorhanden. Für eine Wiedereingliederung der Flächen in den Wirtschafts- und Naturkreislauf ergaben sich somit aus der Gesamtschau für das Gebiet drei wesentliche Randbedingungen: Auffüllung Altarm, Bodenverunreinigungen und Hochwasserschutz.

Daraus ließen sich folgende erforderliche Maßnahmen zur strukturellen Entwicklung und Gefahrenabwehr ableiten: Im Bereich der beiden Baufenster nördlich und südlich der Altablagerung wurden die schädlichen Bodenveränderungen durch Aushub saniert, um eine Gefährdung der zukünftigen Bewohner dauerhaft auszuschließen. Der Aushub im Bereich der Altablagerung wurde als Reliefaushub entsprechend der künftigen Bebauung durchgeführt. Dadurch konnten die zu entsorgenden Massen minimiert werden. Die ungehinderte Ableitung eines Hochwassers wurde über die Schaffung einer Hochwasserabflusszone mit Teilaushub und Abdichtung in der Altablagerung zwischen den Baufeldern erreicht.

Die Grundstücksflächen, die wegen Altlasten oder aus Gründen des Hochwasserschutzes nicht überbaut werden konnten, ließen großflächige Grün- und Freizeitflächen als besondere Qualitäten in dem verdichteten Quartier entstehen. Die Uferzonen des Neckars und der Ammer wurden aufgewertet und für die Bewohner zugänglich gemacht. Durch den Erhalt von charakteristischen Gebäuden blieb die „Geschichte“ des Orts ablesbar.

Mit der Alten Weberei ist so auf einer – früher als nahezu unbebaubar eingeschätzten – Industriebrache mit Altlasten- und Hochwasserproblematik ein buntes und vielfältiges Stadtquartier für ca. 800 Menschen entstanden.

Dem Projekt „Alte Weberei“ wurde im Februar aus 31 Bewerbungen der Flächenrecyclingpreis Baden-Württemberg 2016 verliehen. Gründe für die Wahl waren die erfolgreiche Bewältigung des gesamten Spektrums an Herausforderungen, um aus einer sehr problematischen Industriebrache ein attraktives Stadtquartier zu machen. Über die ohnehin komplexe Projektentwicklung hinaus wurden intelligente Lösungen für die schwierige Dekontamination der Fabrikflachen und aufgefüllten Flussarme sowie für den Gewässer- und Hochwasserschutz gefunden.

Die Autoren
Arnold Pettera
Senior Consultant, CDM Smith Consult GmbH
Uwe Wulfrath
nebenamtilicher Geschäftsführer der WIT Wirtschaftsförderungsgesellschaft,

Das Event zum Thema

Mittwoch, 14.September.2016
Regionen-Dialog Rhein-Neckar
Heidelberg