05.08.2016

Anforderungen an Verträglichkeitsgutachten

Schutz zentraler Versorgungsbereiche

Für die Entwicklung von Einzelhandelsgroßprojekten spielt die Frage, ob das Vorhaben schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche haben kann, eine entscheidende Rolle.

Dies betrifft zunächst die Aufstellung von Bebauungsplänen. Im Rahmen der Abwägung sind nämlich die schädlichen Auswirkungen auf die zentralen Versorgungsbereiche in der Standortkommune und in den benachbarten Kommunen zu ermitteln, zu bewerten und zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB). Zudem sind die Bebauungspläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen, wobei sich die Nachbarkommunen auch auf Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen können (§ 2 Abs. 2 BauGB).

Aber auch ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich ist nur zulässig, wenn keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche sowohl in der Standort-kommune als auch in den Nachbarkommunen zu erwarten sind (§ 34 Abs. 3 BauGB).

Um den Nachweis der Zentrenverträglichkeit zu erbringen, ist in vielen Fällen ein Verträglichkeitsgutachten erforderlich. In der Praxis wird dabei häufig um die Richtigkeit dieser Gutachten gestritten.

Mit einem solchen Fall hatte sich das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in seiner Entscheidung vom 01.12.2015 zu befassen. In der Sache ging es um einen Normenkontrollantrag gegen einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan, der die Erweiterung eines Einkaufszentrums von 30.000 m² auf 39.000 m² Verkaufsfläche zuließ. Antragsteller waren die Nachbarkommunen, die insbesondere die Mangelhaftigkeit des Einzelhandelsgutachtens rügten, das der Abwägung des Bebauungsplans zugrunde lag. In der Sache hatte dieser Normenkontrollantrag keinen Erfolg.

Das OVG stellte zunächst dar, dass es sich bei einem Einzelhandelsgutachten um eine Prognose handele, die nur eingeschränkt gerichtlich zu überprüfen sei. Das Gericht überprüfe dabei nämlich nur, ob eine zutreffende fachspezifische Methode gewählt , der Sachverhalt zutreffend ermittelt und das Ergebnis nachvollziehbar begründet wurde. Zudem müsse die der Prognose immanente Ungewissheit in einem angemessenen Verhältnis zu den Eingriffen stehen, die mit ihr gerechtfertigt werden.

Für die Beurteilung der durch das Vorhaben zu erwartenden Umsatzverluste sei daher eine realitätsnahe Betrachtung des „Worst-Case“ maßgeblich, also des aus Sicht der Nachbarkommune unter realistischen Annahmen ungünstigsten Falls.

Nach Auffassung des OVG genügte das dem angegriffenen Bebauungsplan zugrundeliegende Einzelhandelsgutachten diesen Anforderungen. Dabei setzte sich das Gericht detailliert mit den von den Antragstellerinnen vorgetragenen Einwendungen auseinander:

So stellte das Gericht zunächst klar, dass die von den Antragstellern gerügte falsche Unterteilung des Einzugsgebiets in vier Zonen nachvollziehbar begründet und damit nicht zu beanstanden sei.

Zudem habe das Einzelhandelsgutachten bei der Ermittlung der Umsatzumverteilung im Einzugsbereich zutreffend weitere zukünftige Einzelhandelsansiedlungen berücksichtigt, die planungsrechtlich abgesichert seien. Das OVG ließ dabei jedoch offen, unter welchen Voraussetzungen ein zukünftiges Einzelhandelsvorhaben planungsrechtlich abgesichert ist. Insbesondere befasste es sich nicht mit der Frage, ob es hierfür ausreicht, dass ein entsprechender Bebauungsplan in Kraft getreten ist oder ob bereits eine Baugenehmigung vorliegen muss.

Schließlich seien auch die angesetzten Umsatzerwartungen des Vorhabens für den Bereich Mode in Höhe von 3.100,00 €/m² nicht sachfremd. Aus dem von den Antragstellerinnen vorgelegten Gegengutachten lasse sich kein anderer Schluss ziehen. Die höheren Umsatzprognosen in den Gegengutachten beruhten auf der Annahme einer zu geringen Gesamtverkaufsfläche für den Bereich Mode im Einzugsgebiet. Der Gegengutachter hatte weder die zu erwartenden Einzelhandelsansiedlungen noch die vorhandenen Randsortimente für den Bereich Mode in Geschäften mit anderem Kernsortiment berücksichtigt.

Mit dieser Entscheidung hat das OVG erneut die gerichtlichen Prüfungsmaßstäbe für Verträglichkeitsgutachten verfeinert. Gleichzeitig verschafft sie dem Gutachter einen beträchtlichen Bewertungsspielraum, sofern die Prognosebasis schlüssig und widerspruchsfrei erarbeitet wurde.