Die Autorin
Angelika LeppinPartner, WEISSLEDER EWER Rechtsanwälte Partnerschaft mbB
In Gewerbegebieten darf nicht gewohnt werden – Ausnahme: Betriebsleiterwohnungen. Dieser Grundsatz galt lange Zeit und ist zunächst mit dem „Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen“ (Inkrafttreten am 20.11.20143) abgelöst und mit Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz zum 24.10.20154 noch weiter konkretisiert worden.
Maßgebliche Regelung ist § 246 Abs. 10 BauGB. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde – sowohl in einem durch Bebauungsplan förmlich festgesetzten Gewerbegebiet – als auch in einem sog. „faktischen“ Gewerbegebiet u.a. für Flüchtlingsunterkünfte eine Befreiung erteilen, wenn
• an dem Standort Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder allgemein zulässig sindund
• die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Be-langen vereinbar ist.
Sofern die vorgenannten Voraussetzungen gegeben sind, kann die Bauaufsichtsbehörde – im Einvernehmen mit der Gemeinde – auch in einem Gewerbegebiet, dass durch Emissionen geprägt ist, weshalb dort (eigentlich) nicht gewohnt werden soll, eine Befreiung erteilen. Es handelt sich wegen der „Kannregelung“ um eine Ermessensregelung, so dass die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen ihrer Befreiungsentscheidung ihr Ermessen auch tatsächlich ausüben muss.
Dies hat eine Baugenehmigungsbehörde in Schleswig-Holstein schlicht übersehen, weshalb das VG Schleswig einem Eilantrag des klagenden Nachbarn stattgegeben hat. Zunächst hat das Gericht unter Hinweis auf den sog. „Gebietserhaltungsanspruch“ herausgestellt, dass dem Eigentümer eines Grundstücks ein solcher Anspruch zusteht, wenn durch das Bauvorhaben eine „Verfremdung“ des Gebietes eingeleitet wird. Nachbarschutz besteht im Rahmen des Gebietserhaltungsanspruch dergestalt, dass jeder Betroffene, der in demselben Gebiet wie das geplante Vorhaben Eigentum oder eine eigentümerähnliche Position5 innehat, das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebietes – unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung – verhindern kann6. Grundsätzlich stünde dem gewerbetreibenden Eigentümer ein solcher Gebietserhaltungsanspruch zu, sofern nicht die Voraussetzungen des § 246 Abs. 10 BauGB gegeben seien. Das VG Schleswig hat dem nachbarlichen Eilantrag – allerdings nur – aus dem Grunde stattgegeben, weil die Bauaufsichtsbehörde bei ihrer Befreiungsentscheidung verabsäumt hat darzulegen, dass „die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ mit öffentlichen Belangen vereinbar ist. Diese (fehlenden) Ermessenserwägungen kann die Bauaufsichtsbehörde jedoch nachholen und anschließend einen Antrag auf Abänderung der gerichtlichen Entscheidung stellen. Zu den von zuweilen Nachbarn geltend gemachten „Lärmemissionen“ durch Flüchtlinge haben die Gerichte judiziert, dass es sich hierbei um „typische Lebensäußerungen von Menschen“ handele, die schon nicht geeignet seien, die Schwelle der Zumutbarkeit zu überschreiten. Störungen und Beeinträchtigungen, die außerhalb der bestimmungsmäßigen Nutzung einer Einrichtung aufträten, seien ggf. mit den Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts oder des zivilen Nachbarrechts zu begegnen7. Auch der geltend gemachte „Wertverlust“ begründe keinen schweren Nachteil und stelle keinen eigenen bodenrechtlich relevanten Gesichtspunkt dar.8 Allerdings könne die „Belegungsdichte“ der Unterkunft bodenrechtliche Relevanz haben. Dies ist dann einer einzelfallbezogenen Bewertung zu unterziehen.9
Frau Prof. Dr. Angelika Leppin wird im Rahmen des Fach-Dialogs Wohnraum für Flüchtlinge am 10. März 2016 einen Vortrag zum Thema "Baurechtliche Errichtung von Unterkünften und Sicherstellung einer Nachnutzung" halten.