13.06.2016
Peter Ulm

Mikrowohnen eignet sich ideal zur Nachnutzung!

Am Wohnungsmarkt wird’s Bunter

Gewohnt wird immer, die Frage ist aber: wie? Waren Garconnieren (Einzelzimmerwohnungen) vor wenigen Jahren noch verschrien, feiern jetzt kleine, suffiziente Wohnungen und temporäre Konzepte ein Comeback.

Die Formel ist simpel: Zuzug in den Ballungsräumen plus immer unterschiedlichere Lebensstile minus Platz und Grundstücke ist gleich neue Wohnformen. Übersetzt in reale Projekte heißt das dann zum Beispiel Mikrowohnungen, Boardinghäuser oder Serviced Apartments. Die Grundrisse sind intelligent optimiert, nicht Quadratmeter werden gezählt, es geht um Funktionen.

Alles Wesentliche zum Wohnen ist da, Leerflächen wie Gänge etc. gibt es kaum. Eine Wohnküche reicht aus, denn gekocht wird ohnehin in der gemeinsamen Erlebnisküche oder man trifft sich mit Freunden und Kollegen in einem der Lokale ums Eck. Bewohner von Mikrowohnungen wollen am Puls der Zeit leben, müssen sich die Wohnung aber auch leisten können, weshalb sie gerne auf Überflüssiges verzichten. Boarding Häuser ersetzen hingegen immer öfter das klassische Hotel. Es geht hier um neue Lebensstile, um eine Ausdifferenzierung des Wohnungsangebots und um Assetklassen, die sich seit kurzem zu etablieren beginnen.

Zu Beginn sollte man einmal unterscheiden zwischen drei wesentlichen Konzepten: Mikroapartments, Serviced Apartments und Boarding Häuser. Es gibt noch eine Vielzahl an Synonymen, die im Wesentlichen aber immer auf diese drei Kategorien zurück zu führen sind.

Mikroapartments sind möblierte oder unmöblierte Kleinwohnungen, die als klassisches Immobilieninvestment mit dem Kauf einer Anlegerwohnung in der Größe von ca. 30 bis 60 m2 vergleichbar sind. Sie können bieder ausfallen und als Garconniere günstigen Wohnraum bieten, oder hipp und modern eine fixe Unterkunft einer neuen Generation sein, der ein schnelles WLAN wichtiger ist, als ein Briefkasten vor der Haustüre.

„Bei Serviced Apartments handelt es sich hingegen überwiegend um Ein- und Zweizimmerapartments, die von einem Betreiber serviciert und gemanagt werden“, erklärt Architekt Josef Weichenberger. Das Boarding Haus sei mit dem Serviced Apartment vergleichbar, so der Architekt. Beide dienen dem Aufenthalt auf Zeit und werden gewerblich betrieben. Solche kleinen, hocheffizienten temporären Wohnungen bilden eine Alternative zum Hotel, werden von großen Unternehmen für Mitarbeiter und Expats gemietet oder gekauft, dienen als Übergangslösung nach einer Scheidung, zwischen Umzügen oder bei beruflichen Veränderungen. Sie sind zentral gelegen, sowohl öffentlich als auch für den Individualverkehr gut angeschlossen. „Dabei ist die Qualität zu den überregionalen Verkehrsmitteln wie (Auto-) Bahn und Flughafen von strategisch wichtiger Bedeutung“, erklärt Weichenberger und unterscheidet weiter: „Rechtlich befindet sich das Mikroappartement eher im Bereich des klassischen Wohnungseigentums, während die beiden anderen Typen inhaltlich eher einer Beherbergungsstätte zuzuordnen sind.“ Zu beachten seien bei den jeweiligen Modellen die baurechtlichen bzw. die gewerberechtlichen Auflagen, sowie die Beherbergungsrichtlinien, welche von Bundesland zu Bundesland differieren können. Für alle Modelle gelten in Österreich die bundesländerspezifischen Definitionen in den jeweiligen Widmungskategorien. Andere Bestimmungen wie etwa jene für den Brandschutz sind bundesweit gleich – und z.B. in den OIB- Richtlinien zu finden.

Betreffend der Größen gibt es Richtwerte, die sich in der Praxis bewährt haben. Die Bandbreite liegt zwischen 25 und 60 m2 Nutzfläche. Sollte die Nutzung ausschließ- lich einer Wohnnutzung entsprechen, ist diese z.B. in Wien mit mindestens 30 m2 definiert. Festlegungen über Mindestgrößen von „Beherbergungszimmern“ werden wiederum bundesländerspezifisch geregelt.

INVESTMENT

„Immobilieninvestments werden zunehmend nach dem Rendite-Risiko-Profil bewertet, welches über die Nutzungsarten der Immobilien, ihr Branchenfokus, der Standort, die jeweiligen Mieter und die Laufzeitstrukturen der Mietverträge minimiert werden kann. Wenn diese Faktoren stimmen, bleiben diese Investitionen attraktiv. Gerade deshalb entstehen immer neue Assetklassen für Immobilieninvestments. Das sind besondere Spezialimmobilien, die für präzise definierte Nutzungen vorgesehen sind“, schreibt Ernst Hubert von Michaelis von der Beratungsfirma PROMOS consult in der Fachzeitschrift The Property Post und sieht vor allem private Investoren und geschlossene Fonds als Hauptinvestoren für dieses Segment.

Egal, ob es sich nun um Wohnungen mit oder ohne Service handelt, zeitlich limitiert oder offen – ihr vermehrtes Aufkommen, zeigt vor allem eines: Traditionelle Wohnformen werden zunehmend von neuen Ideen ergänzt. Das manifestiert sich ebenso in anderen Tendenzen, wie im vermehrten Auftreten von Baugruppen, die selbstbestimmt ihre Interessen in Räume umsetzen. Den Trend, Wohnungen klein aber dafür funktional zu gestalten, hat der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig schon vor Jahren marketingtechnisch clever als „Smart Wohnungen“ bezeichnet. International gibt es für effizientes oder wie es treffender heißt: suffizientes Bauen großartige Beispiele.

Das innovative Unternehmen Pocket baut etwa Mini-Apartments in guten Londoner Lagen, die für junge Menschen am Beginn ihrer Karriere gedacht sind. Die Grundrisse und Details sind so genial umgesetzt, dass die 38 m2 richtig geräumig wirken. Einbauschrank im Flur, wo sogar ein Fahrrad reinpasst, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Gang, Bad – alles unverdächtig, nirgendwo eng, die Raumhöhe ist sogar höher als in London üblich. Außerdem gibt es Fußbodenheizung, bodentiefe Fenster, Dusche statt Bad, keine Tiefgarage.

Gedacht sind die Wohnungen für jene Zielgruppe, die arbeitet, und wenn sie frei hat, ohnehin nicht in der Wohnung sitzen bleiben will, sondern raus geht, Freunde trifft, die Stadt erlebt. Die Nachfrage nach den Wohnungen ist enorm, 2015 waren 21.000 Bewerber auf der Warteliste. Was kostet der Spaß? Zwischen 200.000 und 300.000 Euro. Kaufen darf nur, wer weniger als umgerechnet 90.000 Euro im Jahr verdient und noch keine Immobilie hat. Auch beim Wiederverkauf. Außerdem muss der Nutzer in dem Viertel der Wohnung arbeiten oder bereits vor dem Kauf dort gelebt haben. Finanziert wird dieses Projekt übrigens u.a. über Crowdfunding.

„Wir müssen Wege finden, den vorhandenen Raum effizienter zu nutzen. Eine 30 m2 große Wohnung kann ausreichend Platz bieten, wenn jeder Winkel klug genutzt wird“, erklärt der Architekt Van Bo Le-Mentzel in der Zeitschrift Business Punk. In Berlin hat er eine solche Wohnung umgesetzt, ohne tragende Zwischenwände, Funktionen wie Wohnen und Schlafen werden durch Podeste getrennt, diese schaffen gleichzeitig Stauraum. „Unsere Immobilien sind starr und unflexibel. Derzeit bestehen sie vor allem aus Stahlbeton. Erst sind sie sehr aufwendig in der Herstellung, dann unflexibel, wenn wir sie verändern oder modernisieren möchten, sodass es günstiger ist sie abzureißen und neu zu bauen“, wird Le-Mentzel in der Zeitschrift zitiert.

Ein Faktor, der das Wohnen in Zukunft stärker beeinflussen wird, ist die veränderte Arbeitswelt. Die Rede ist nicht von bunten Alibi-Couchen und einem Tischfußballtisch im Büro, sondern davon, dass es immer mobiler wird. Eine findige Wiener Unternehmensberatung hat etwa ihre Abteilung für Buchhaltung in eine Bezirkshauptstadt in Niederösterreich verlegt. Dort wohnten nämlich die meisten Mitarbeiter, weil sie aus der lokalen Handelsakademie rekrutiert wurden. Nun, ein paar Jahre später wollten die meisten Familie gründen und nicht unbedingt täglich nach Wien pendeln. Also hat man in der Kleinstadt ein günstiges Bürohaus gemietet, die Daten rauschen sicher über die Glasfaser-Infrastruktur in die Zentrale im ersten Wiener Bezirk und einmal in der Woche sieht man sich persönlich in Wien. Win-Win für alle.

Business WG als Lebenshaltung

Andere wiederum wollen offensichtlich Arbeit und Privates noch mehr vermischen. Coliving nennt sich das Konzept, wenn innovative Wissensarbeiter mal gemeinsam, mal alleine an Projekten arbeiten und auch gemeinsam wohnen wollen. „Zwischen Müsli und Marmeladenbrot zünden die Ideen schneller, als der Kaffee brüht“, heißt es auf der Website von Coliving Hamburg. Vorreiter dieser Idee sind Wohn-Denk-Freizeit-Arbeits-Kombinationen der Startup-Szene im Silicon Valley und San Francisco wie Rainbow Mansion, The Glint oder The Embassy. Hier geht es nicht einmal mehr um Räume, sondern um das Mindset der Mitbewohner, um gute Stimmung, Ideenaustausch und gegenseitige Hilfestellungen. Der amerikanische Co-Working-Riese Wework probiert das Konzept gerade in der Wallstreet aus, wenn’s klappt ist das weltweite Rollout geplant. In Europa gibt es bereits in Stockholm eine realisierte Coliving-WG namens Nest. Zoku in Amsterdam ist ein Hotel, das statt anonymen Zimmern lässige Gemeinschaftsräume für Coworking anbietet, und mit variantenreichen Zimmern zum Schlafen auffällt: vom Mehrbett-Zimmer bis zum Loft, das trotz 24 m2 Grundfläche auf Kingsize-Bett, vollwertige Küche und ordentliches Badezimmer nicht verzichtet. Schiebetüren und eine Stiege, die im Kasten verschwindet wenn man sie nicht braucht, bringen Platz.

Eines ist den meisten solchen Projekten gemein: Sie sind ideale Konzepte zur Nachnutzung von alten Bürohäusern, Kasernen, heruntergekommenen Objekten, die sonst leer stehen würden. Eine Chance also, mit Innovation neue urbane Wohnqualität zu schaffen.

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Der Autor
Peter Ulm
Vorsitzender des Vorstands
6B47 Real Estate Investors